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Berlin, Freitag, 27. März 2020: Alles auf Abstand, Picknick und Sonnen verboten

Worüber spricht die Hauptstadt heute? Über Abstand. Alles wegen Corona. Mit dem Abstand hab ich es ja nicht so. Als Jugendliche bin ich mal geblitzt worden – auf der Autobahn. Ich hatte zu wenig Abstand zum Vordermann. Gab drei Punkte in Flensburg. Und was sehe ich da gestern im Park? ABSTANDSKONTROLLE! Polizisten forderten drei Jugendliche, die eng auf einer Decke saßen, auf, anderthalb Meter Abstand zu halten. Und zwei Mütter, die ihren Kinderwagen vor sich herschoben, wurden auch gebeten, mehr Distanz zu wahren. Vor vier Wochen waren solche Szenen noch unvorstellbar. Heute sind sie Realität.

Auch zu Fuß finde ich das Abstandhalten aber gar nicht so einfach. Etwa auf engen Bürgersteigen, wenn man den Fußgänger vor einem überholen möchte. Neulich sprang eine Joggerin vor mir weg, dabei hatte ich in diesem Moment – ganz ehrlich – mindestens anderthalb Meter Abstand, eher zwei Meter. Unser Supermarkt um die Ecke hat jetzt Vorsorge getroffen, damit sich die Einkäufer nicht zu nah kommen. Nur wer einen der 15 Einkaufswagen ergattert, darf hinein. Die, die keinen haben, reihen sich in die Schlange vor dem Laden ein – und halten Abstand voneinander. Mindestens anderthalb Meter. Meistens zumindest!

Mal sehen wie das Wochenende wird. Herrliches Wetter ist angesagt. Das wird die Menschen, die sich die ganze Woche eingesperrt fühlten und im Homeoffice arbeiteten, rauslocken. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik weist darauf hin, dass wegen der Ansteckungsgefahr gut gefüllte Parks verhindert werden sollen. Bewegung und Sport draußen sei zwar erlaubt, ebenso ein kurzes Ausruhen und Verweilen an einer Stelle. Aber das Niederlassen auf Decken, das Sonnen und längere Sitzen an einer Stelle an der frischen Luft sei verboten. "Alles, was zum längeren Aufenthalt führt", sagt die Polizeipräsidentin, "ist nicht zulässig und wird von den Einsatzkräften angesprochen und geahndet." Die Polizei in der Hauptstadt ist derzeit täglich mit 300 zusätzlichen Polizisten, Zivilstreifen, Fahrradstaffeln und den üblichen Streifenwagen unterwegs.

Der Wunsch nach Freiheit

Na, hoffentlich hilft das, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Zwar gilt die Kontaktsperre erst seit Kurzem, doch der Wunsch nach Freiheit und Lockerung der Maßnahmen wird jetzt schon größer. Alle fragen sich: Wie lange noch? Auf eine Antwort darauf werden wir aber wohl noch eine Weile warten müssen. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) ließ diese Woche durchblicken, wie eine Lockerung aussehen könnte. "Die nächste Phase lautet natürlich: Junge Menschen, die nicht zu den Risikogruppen gehören, dürfen wieder mehr auf die Straße," sagte er.

Die Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Bärbel Bas findet es noch zu früh, über ein Ende der Maßnahmen zu sprechen. "Leben retten hat Vorrang. Die steile Kurve an Infektionen muss deutlich abflachen. Es muss sicher sein, dass es genügend Schutzmaterial gibt, insbesondere Atemmasken", sagt sie. "Wir müssen mehr über das Virus lernen. Zum Beispiel: Warum trifft es auch jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen."

Kanzlerin Merkel hat sich gestern Abend aus dem Homeoffice gemeldet und sich gegen Überlegungen gestellt, möglicherweise schon nach Ostern die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus zu lockern. Sie wolle "sehr klar sagen, dass im Augenblick nicht der Zeitpunkt ist, über die Lockerung dieser Maßnahmen zu sprechen". Im Moment dauere es vier bis fünf Tage, bis sich die Zahl der Infizierten verdoppele. Viel weiter müsse diese Zeitspanne gestreckt werden in Richtung von zehn Tagen. Das Ziel der Maßnahmen sei, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

Genaueres, was die Lockerung der Maßnahmen angeht, werden wir wohl also erst in den nächsten Wochen erfahren, je nach dem wie sich die Infektionskurve entwickelt.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende! Vielleicht können Sie ja ein paar Sonnenstrahlen erhaschen. Aber denken Sie dran: Abstand halten!

Berlin, Donnerstag, 26. März 2020: Zeit der Beschränkungen

Den Mann mit der Fliege in Berlin kennt wohl jeder: Karl Lauterbach, SPD-Politiker, Abgeordneter, Epidemiologe, Arzt und Professor. Er ist einer der bekanntesten Gesundheitspolitiker in Deutschland. Karl Lauterbach befasst sich seit Jahren mit dem Gesundheitssystem, das in der Coronakrise wohl an seine Grenzen stoßen wird. Und als einer der Ersten verkündete er, dass er in Quarantäne geht. Er hatte mit einem Covid-19-Infizierten in einer Sitzung gesessen.

Karl Lauterbach erkrankte nicht. "Ich habe keine Symptome entwickelt und habe mich daher auch nicht testen lassen", sagt er, als ich mit ihm telefoniere. Und wie erging es ihm in häuslicher Quarantäne? "Das war keine gute Zeit", sagt er. Plötzlich sei er raus gewesen aus dem aktuellen Geschäft. "Das hat mir schon zu denken gegeben." Keine Fraktionssitzungen mehr, keine Meetings, keine Gespräche vis-à-vis. Das ist schwer für einen, der nicht nur im politischen Berlin unterwegs ist, sondern auch einen Wahlkreis betreut. Er muss ja für die Bürger da sein. "Ich habe viel telefoniert und mit Skype und Facetime Kontakt gehalten", erzählt er.

Karl Lauterbach nutzte die Zeit, um die neuesten Entwicklungen ganz genau zu beobachten und um sich die Studienlage zur Bekämpfung des Coronavirus anzuschauen. Mit diesem Wissen kann er den Menschen nun erklären, warum das Leben noch eine lange Zeit anders sein wir. "Diese starke Ausgangssperre werden wir noch ein paar Wochen durchhalten müssen, aber zur Normalität werden wir über viele Monate nicht zurückkehren." Man könne nur eine sehr lange Strecke aus sozialer Distanzierung und minimaler zeitweiser Lockerung riskieren, bis Medikamente oder Impfungen da sind, so der Politiker. Wir dürfen diese Erkrankung nicht unterschätzen.

Ohne Sicherheitsabstand gehe nichts in der nächsten Zeit. Nicht im Alltag und auch nicht in der Politik. Im Bundestag ist derzeit nur jeder dritte Platz besetzt. Karl Lauterbach war gestern wieder dort anzutreffen. "Ich werde wohl nicht das letzte mal in Quarantäne gewesen sein", sagt er. Sobald es Lockerungen gibt, steige auch die Wahrscheinlichkeit, dass man mit Infizierten in Kontakt kommt. Und wenn das der Fall ist, bleibe einem nichts anderes übrig, als sich abzuschotten, um die Ausbreitung des Virus zu vermeiden. Nur so könne man Ansteckungen, schwere Verläufe und Tote vermeiden und das Gesundheitssystem am Laufen halten.

Berlin, Mittwoch, 25. März 2020: Demokratie in Krisenzeiten

Gestern vor zwei Wochen wurde die gläserne Kuppel des Reichstagsgebäudes für den Besucherverkehr geschlossen. Wo sich sonst täglich tausende Menschen hoch schlängeln und einen wunderbaren Blick auf Berlin haben, herrscht jetzt Leere. Das Parlament aber tagt heute – im Inneren des Gebäudes. Trotz Versammlungsverbot im Land. Ohne die Zustimmung des Bundestags gibt es auch keine Hilfspakete für Firmen und Krankenhäuser sowie für Beschäftigte und Eltern, die durch die Coronakrise ins Straucheln geraten. Das alles muss im Parlament verabschiedet werden. Mit Abstand – von mindestens 1,50 Meter. Nur jeder dritte Stuhl darf besetzt werden.

Um die Schuldenbremse abzusetzen, müssen allerdings mindestens 355 Abgeordnete mit Ja stimmen, also gut die Hälfte der 709 Abgeordneten. Damit das funktioniert, kommen die Politiker, die heute keinen Platz im Parlament haben, extra für diese Abstimmung in den Bundestag. Dort werden an verschiedenen Orten Wahlurnen für die Stimmkarten aufgestellt – mit viel Abstand. Besondere Zeiten, brauchen besondere Lösungen. In der Coronakrise muss schnell gehandelt werden. Was normalerweise in mehreren Wochen beraten und abgestimmt wird, passiert heute an einem Tag. Das Parlament wird den Epidemiefall ausrufen, damit das überhaupt möglich ist. Zu gegebener Zeit will es diesen auch selbst wieder beenden. Damit der Bundestag künftig beschlussfähig bleibt, wenn sich Abgeordnete mit dem Coronavirus anstecken oder in Quarantäne müssen, muss nicht mehr die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein. 25 Prozent reichen.

Am Ende der Sitzungswoche fahren die Abgeordneten wieder nach Hause in ihren Wahlkreis. Größere Treffen und Konferenzen werden sonst im Moment vermieden. Auch von Politikern. Einige von ihnen wie CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, Grünen-Politiker Cem Özdemir und Alexander Graf Lambsdorff von der FDP haben sich bereits mit dem Coronavirus angesteckt. Wie wir alle greifen die Abgeordneten nun vermehrt auf Telefon oder Videoschaltungen zurück.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aber lädt noch zu Pressekonferenzen. So war am Montag auch volles Haus im Gesundheitsministerium. In der Eingangshalle empfing der Minister Journalisten, Fotografen und Kamerateams, um ihnen den Entwurf des Krankenhausentlastungsgesetzes und Änderungen des Infektionsschutzgesetzes vorzustellen. Beides war kurz zuvor vom Bundeskabinett verabschiedet worden. Neben einigen anderen Gesetzen will sie der Bundestag heute beschließen. Kliniken sollen eine Tagespauschale von 560 Euro für jedes Bett bekommen, was sie für Coronapatienten freihalten. Für jedes Intensivbett, das sie zusätzlich schaffen, erhalten sie 50000 Euro.

Spahns Pressekonferenz sah anders aus als früher. Am Eingang zur Halle steht Desinfektionsmittel. Während die Fotografen sich sonst an den Minister heften, hielten sie Abstand. Die Stühle für die Journalisten standen zwei Meter entfernt voneinander. Wer täglich unterwegs ist um Leute zu treffen und Geschichten aufzuspüren, fühlt sich in diesen Tagen besonders eingesperrt. So betonte ein Kollege, dass er sich freue, mal wieder rauszukommen aus dem Homeoffice, in dem er inzwischen arbeite. Und die Journalisten, die nicht kommen konnten, wollten oder durften, schickten die Fragen an Spahns Pressesprecher. Er trug sie vor. Der Minister antwortete. Ungewohnte Zeiten.

Galerie: Die leeren Straßen und Plätze von Berlin

Berlin, Dienstag, 24. März 2020: Wochen des Wandels

Draußen ist es kalt, dennoch scheint die Sonne in Berlin. Kaiserwetter. Schon seit Tagen. Normalerweise würde es Menschenmassen in den Tiergarten und andere Parks locken. Aber man sieht nur vereinzelt Familien, Jogger und Spaziergänger – höchstens zu zweit. Wo sonst Stau ist, bleiben große Lücken zwischen den Autos. Es macht Freude, mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren, selbst auf sonst viel befahrenen Verkehrswegen wie der "Straße des 17. Juni". Sie führt direkt zum Brandenburger Tor, ins Herz der Hauptstadt. Aber dann ist da auch noch dieses beklemmende Gefühl, das sich durch die Coronakrise breitmacht. Und die Unsicherheit: Sollte man nicht eigentlich zu Hause bleiben? Doch Politik muss weiter funktionieren. Ich bin auf dem Weg zu einem Termin.

In den vergangenen beiden Wochen scheint die große Mehrheit der Menschen im Land zur Vernunft gekommen zu sein. Wir haben verstanden, dass die Lage ernst ist. Tag für Tag fuhr auch Berlin ein Stück runter. Erst gab es keine Großveranstaltungen mehr, dann schlossen die Kneipen und Clubs, dann die Schulen. Nicht nur die Hauptstadt, das ganze Land verändert sich. Nicht wegen eines Terroranschlags oder wegen einer Unwetterlage. Corona legte das Land lahm. Fast jedes Kind weiß das. Berlin und seine Bewohner haben sich schwer getan, die Freiheitsbeschränkungen zu akzeptieren. Ich traue es mir fast nicht zu sagen, aber gestern vor einer Woche, das ist keine Woche her, sind unsere Kinder noch zur Schule gegangen und haben auf dem Spielplatz getobt. Heute ist das kaum noch vorstellbar.

Am Sonntag haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, die Beschränkungen bundesweit noch einmal zu verschärfen. Man darf nur noch zu zweit auf die Straße, es sei denn man ist mit der Familie oder mit Mitbewohnern unterwegs. Nicht mal mehr kleinere Treffen darf es geben. Es gilt ein striktes Kontaktverbot. Nur diese Corona-Gefahrenlage macht solche Maßnahmen rechtlich überhaupt möglich. Die Wohnung verlassen darf nur, wer einen triftigen Grund hat. Dazu zählen unter anderem der Weg zur Arbeit, notwendige Einkäufe, Arzt- und Apothekenbesuche, Hilfe für andere Menschen, Besuche von Lebenspartnern, aber auch Sport und Bewegung an der frischen Luft. Nur Supermärkte, Apotheken und Drogerien haben noch geöffnet.

Es schmerzt, Geschwister, Eltern, Großeltern oder Freunde nicht sehen zu dürfen. Aber nur durch Distanz können wir sie schützen. Nur durch Kontaktverzicht können wir verhindern, dass sich das Virus weiterhin rasant ausbreitet und dass die vielen Covid-19-Infizierten, die zum Teil schwer erkranken, das Gesundheitssystem überlasten.

Wahrscheinlich können Sie es nicht mehr hören. Aber: Bleiben Sie gesund!

Berlin, Montag, 23. März 2020: Kanzlerin im Homeoffice

Ab heute arbeitet Angela Merkel also auch im Homeoffice. Wie Millionen Menschen in Deutschland. Der Arzt der Kanzlerin, der sie am Freitag noch impfte, ist positiv auf das Coronavirus getestet worden. Ob die Bundeskanzlerin es leichter hat, zuhause zu arbeiten? Bei uns kommen die Kinder auch mal während einer Videokonferenz ins Zimmer geplatzt. Und sie wollen mit Essen versorgt, bespaßt und unterrichtet werden – obwohl wir Eltern arbeiten. Die Schulen haben in Berlin seit einer knappen Woche geschlossen. Wegen verschärfter Beschränkungen können Großeltern und Freunde kaum einspringen.

Angela Merkel führt die Regierungsgeschäfte nun von zu Hause aus. Die Kanzlerin muss auch ein Vorbild sein. So macht sie deutlich, wie wichtig es ist, das Virus nicht zu verbreiten. Dabei wird sie diese Woche in Berlin besonders gebraucht. Es steht politisch einiges auf dem Spiel. Und es geht nicht um irgendwelche Gesetze. Es geht um Maßnahmen, die das Land jetzt braucht, um hoffentlich einigermaßen gut die Coronakrise zu bewältigen. Milliardenschwere Wirtschaftshilfen für Unternehmen, für Beschäftigte und für Kliniken sind geplant und die Anpassung des Infektionsschutzgesetzes. Es geht um Menschenleben und um Existenzen. Heute kommt das Bundeskabinett zusammen, um all das zu beschließen. Angela Merkel lässt sich wahrscheinlich zuschalten.

Am Mittwoch muss dann der Bundestag zustimmen. Obwohl Sitzungen mit vielen Menschen auf engstem Raum ein Virologen-Albtraum sind, soll die Sitzungswoche stattfinden. Allerdings werden in diesen Tagen wegen des hohen Infektionsrisikos nur wirklich notwendige Entscheidungen getroffen. Einige Abgeordnete haben sich schon mit dem Coronavirus infiziert und sind in Quarantäne. Freitag soll dann der Bundesrat zusammenkommen. Und wenn alles gut geht, steht Ende der Woche das Rettungspaket für die Coronakrise. So funktioniert Politik in Krisenzeiten – selbst mit einer Kanzlerin im Homeoffice.

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