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Ein Leben mit Abstand – die neue Normalität

Gestern am frühen Abend, Angela Merkel hat eine Stunde zuvor verkündet, dass die Kontaktsperre noch bis Anfang Mai bestehen bleibt: Ich bin mit den Kindern mit dem Fahrrad unterwegs. Wir wollen uns bewegen und frische Luft schnappen nach einem langen Tag im Homeoffice. Es ist einiges los im Park und es scheint, als ob manche – nach der schlechten Nachricht der Kanzlerin – geradezu trotzig aus der Wohnung gelaufen sind. Dabei gibt es ja erstmals, seit dem die Beschränkungen wegen der Coronapandemie gelten, auch erste Lockerungen: Manche Geschäfte dürfen zum Beispiel wieder aufmachen. Schulen können ab 4. Mai schrittweise für bestimmte Klassen mit Auflagen öffnen.

Aber zurück zum Park: Kinder spielen Fußball, rennen über die Wiese, verstecken sich hinter Bäumen. Fast wie vor der Coronazeit. Schaut man genau hin, sieht man, dass die Menschen sehr wohl wissen, was sie tun. Ich beobachte eine Familie, die lange sucht, bis sie den richtigen Platz – mit Abstand – für ihre Decke findet. Ein kleines Mädchen, ich schätze drei Jahre alt, lässt einen Papierflieger fliegen. Er landet vor einer Joggerin. Sie will nicht darauf treten, hebt ihn im Affekt auf und will ihn dem Mädchen geben. Doch das Mädchen rennt weg. "Nicht wundern, wir haben ihr eingebläut, dass sie Abstand halten muss", ruft die Mutter des Mädchens.

Wir treffen zufällig Freunde, die wir seit Wochen nicht gesehen haben. Ganz strikt hatten sie sich an die Kontaktbeschränkungen gehalten, waren nur in den Innenhof gegangen. "Wir mussten mal raus", sagt die Mutter. Schon gestern hätte sie mit ihrem Mann beschlossen, dass der Sohn, Einzelkind, mal seinen besten Freund sehen darf. Im Freien, mit viel Abstand! Vier Wochen ist die letzte Begegnung her. Die Freude sei groß bei dem Sohn gewesen, als er von dem Plan erfuhr. "Er hat so gestrahlt", erzählt die Mutter. Die Freundin steht bewusst ein Stückchen entfernt von mir. Ihr Sohn und sein Freund schießen einen Fußball hin- und her. "Ihr wisst, kommt euch nicht zu nah!", ruft sie ihnen zu.

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In den nächsten Monaten wird es eine Rückkehr zur Normalität nicht geben, auch wenn sich alle danach sehnen. Es gibt nur einen "zerbrechlichen Zwischenerfolg", wie es die Kanzlerin gestern formulierte. Zu groß ist die Gefahr, dass das Coronavirus Oberhand gewinnt und zu viele Menschen krank macht. Die Reproduktionsrate ist – trotz der Beschränkungen – noch bei 1,2 und zu hoch. Diese Zahl sagt aus, wie viele Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Je niedriger der Wert, desto besser. Liegt die Rate über 1 erhöht sich die Zahl der täglichen Neuinfektionen. Ist sie unter 1, steckt ein Infizierter im Mittel weniger als einen anderen Menschen an. Die Pandemie läuft nach und nach aus. So die Theorie.

An diesem Punkt sind wir aber leider noch nicht. Und wir werden nur an ihn kommen, wenn wir uns an die Regeln und Schutzmaßnahmen halten – auch in der nächsten Zeit. Deswegen einigten sich Bund und Länder gestern darauf, dass Gastronomiebetriebe vorerst nicht öffnen dürfen. Deswegen bleiben Großveranstaltungen bis Ende August verboten. Und die Politiker empfehlen das Tragen von Masken in Bus und Bahn sowie beim Einkaufen, eine Pflicht gibt es aber nicht.

Die Freundin, die ich gestern zufällig traf, freut sich, dass Zoo und Tierpark in Berlin wieder öffnen können. "Wenn das wirklich kommt, sind wir dort die Ersten", sagt sie. Kleine Lichtblicke in einer Ausnahmezeit, die wohl noch über Wochen und Monate andauern wird. Man kann schon fast von einer "neuen Normalität" reden. Auch wir freuen uns, wenn da wenigstens ein Tierparkbesuch erlaubt ist.