Fasten trotz Corona: Die besten Tipps
Haben wir nicht schon genug verzichtet – auf Kontakte, auf Freizeit, auf Selbstbestimmung? Und jetzt noch freiwillig fasten? Warum das eine gute Idee sein könnte, erklären eine Psychologin und ein Ernährungsmediziner
Eigentlich sollten auf dieser Seite viele Kommentare stehen. Von Familien, die auf Süßigkeiten verzichten, bei denen für knapp sieben Wochen der Fernseher aus bleibt, das Daddeln auf dem Tablet tabu ist oder das Auto in der Garage bleibt. Nur: Viele wollen auf den Verzicht verzichten. Offenbar fällt Fasten dieses Jahr aus. Kein Wunder: Die CoronaPandemie verlangt uns nun seit einem Jahr so viele Entbehrungen ab, wer verzichtet da noch frei willig auf irgendetwas?
Trotzdem fragten wir uns: Kann man dem Fasten oder dem Verzichten trotz der vielen Corona-Regeln etwas Positives abgewinnen? Darüber sprachen wir mit der Psychologin Johanna Lubig aus Berlin und dem Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl aus Hamburg. Beide mussten nicht lange nachdenken und finden: ja.
Selbstbestimmt verzichten
Die Liste mit Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist ellenlang. "Dadurch haben wir das Gefühl, stärker von außen gesteuert zu sein. Nicht wir kontrollieren unsere Handlungen und agieren frei, sondern wir halten uns während der Pandemie an mehr Regeln. Wir haben die Selbstkontrolle ein Stück weit verloren", fasst Lubig das Dilemma zusammen.
Beim Fasten – ganz gleich – sei das anders. Über das Was und das Wie lange entscheiden wir selbst, und wir tun es freiwillig und selbstbestimmt. "Es ist quasi der Gegenentwurf zu den momentan notwendigen Entbehrungen. So können wir uns etwas Selbstkontrolle zurückholen", erklärt die Psychologin. Kommt dann noch der Stolz dazu, weil wir unser Ziel erreicht ha ben, fühlen wir uns rundum wohl in unserer Haut.
"Sogar Kinder können davon profitieren und lernen durch den freiwilligen Verzicht das Prinzip der Selbstwirksamkeit: Was ich mir vornehme, kann ich schaffen, auch wenn das manchmal schwer fällt", sagt Lubig.
Fasten zur Familien-Challenge machen
In der aktuellen Situation, in der wir durch die Corona-Pandemie ohnehin schon im Ausnahmezustand sind, empfiehlt die Psychologin, es sehr reduziert anzugehen. Gerade Familien sollten beim Fasten oder Verzichten darauf achten, dass sie nicht zusätzliche Konflikte schaffen, indem sie sich zu viel vornehmen.
"Suchen Sie ein Thema, das alle Familienmitglieder gleichermaßen mittragen wollen. Wenn Mama oder Papa beschließt, eine strenge Fastenkur zu machen, aber die einzige Person ist, die sonst im Alltag für leckeres Essen sorgt, kann das für viel Frust sorgen", erklärt die Psychologin. Besser: in einer Familien-Challenge versuchen, mal ein paar Wochen nichts zu naschen oder den Medienkonsum herunterzuschrauben.
Von Wünschen, Zielen, Hindernissen und Plänen
Bei der Umsetzung kann das WOOPModell helfen. Die einzelnen Buchstaben benennen im Englischen die einzelnen Prozesse: Sie beginnen damit, einen Wunsch (W wie wish) zu definieren. Etwa: Wir wollen mehr gemeinsame Zeit aktiv verbringen. Wir wollen uns gesünder ernähren. Wir wollen weniger shoppen (Klamotten, Spielzeug).
Weiter geht’s mit der Zielvorstellung (O wie outcome). Sie werfen einen Blick in die Zukunft und stellen sich vor, wie Ihr Familienleben aussieht, wenn sich der Wunsch erfüllt. Im dritten Schritt überlegen Sie, welche Hindernisse (O wie obstacle) Sie womöglich überwinden müssen.
Im letzten Schritt stellen Sie einen Plan auf (P wie plan), wie Sie unter Berücksichtigung der Hindernisse Ihr Familienziel erreichen können. "Kasteien Sie sich und Ihre Familie nicht über die Maßen. Seien Sie nachsichtig mit sich und den anderen. Wer in einem schwachen Moment einen Schokoriegel nascht, hat nicht gleich auf ganzer Linie versagt. Wertschätzen Sie die Tage, an denen alle tapfer durchgehalten haben und machen Sie nach dem Schnitzer einfach weiter", ermuntert Lubig.
16 Stunden nichts essen? Das schaffen Sie!
Ernährungsmediziner Matthias Riedl sieht im Fasten nur Vorteile – bei Erwachsenen. "Dauert eine Essenspause mindestens zwölf, besser 16 Stunden, wirkt sich das positiv auf den Körper aus. Die Insulinproduktion wird mal deutlich heruntergefahren, das Immunsystem kann in dieser Fastenphase aufräumen, kaputte Zellen erneuern und Schadstoffe abtransportieren", erklärt er.
Sie denken, zwölf Stunden nichts essen – das schaffe ich nicht? "Versuchen Sie es mal mit Nachtfasten", empfiehlt Riedl. Das schaffe jeder. Wer um 19.30 Uhr die letzte Mahlzeit beendet, kann am nächsten Tag ab 7.30 Uhr frühstücken. Der Clou: Die Nascherei am Abend fällt aus.
"Aus gesundheitlicher Sicht brauchen wir keine Snacks zwischen den drei Hauptmahlzeiten. Enthalten diese viel Gemüse und eine Eiweißquelle, machen sie auch lange satt", erklärt der Ernährungsmediziner. Auf diese Weise könnten sogar Schwangere und Stillende Verzicht üben, ohne einen Nährstoffmangel zu provozieren.
Ab dem Grundschulalter können auch Kinder mit einem abgestuften Verhalten ans Süßigkeiten fasten herangeführt werden, etwa indem es Süßes nur am Wochenende gibt. "Kinder lernen am Modell der Eltern. Naschen die nichts, fordern Kinder auch nichts ein", sagt Riedl.