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Warme Nüstern, weiches Fell, sanfte braune Augen: Wartend steht der braune Wallach Snowy in der Reithalle auf dem Pferdehof Müller in Nauen, rund 50 Kilometer westlich von Berlin. Zwei Balken aus Schaumstoff liegen rechts und links neben ihm. Legt Reittherapeutin Rebecca Böde noch zwei weitere dazu, so dass ein Viereck um das Pferd entsteht, nennt sie das „den Ruheraum“.

Hier können sich Reiter und Pferd näherkommen. Beschnuppern, Berühren, Anschauen. Für Böde gehört nicht nur das Reiten des Pferdes zu einer Therapiestunde. Genau so wichtig sei das Putzen und die Bodenarbeit - also alle Aktivitäten wie das Führen, bei denen der Mensch mit dem Pferd vom Boden aus kommuniziert.

„Mir ging es schlagartig besser“

Carola A. teilt die Stunde bei Böde mit und auf dem Pferd gerne mitihrer 12-jährigen Tochter Karen, um mehr gemeinsame Zeit mit ihr zu verbringen und „sich wieder näher zu kommen“, wie sie sagt. Die Tochter lebt beim Ex-Mann. Carola erlitt vor rund drei Jahren das erste Mal eine schwere Depression. Immer wieder musste sie in eine Klinik, weil der Alltag, besonders das Aufstehen am Morgen, zu schwer für sie wurde. Eine Zeit lang quälte sie sich aus dem Bett, duschte eiskalt und machte Sport. Bewegung sollte ihr helfen. „Ich saß heulend auf dem Ergometer“, erinnert sich die 47-Jährige.

„Ich war einfach nicht mehr gesund.“ Die Aufenthalte in den Kliniken waren für Carola zwar eine Rettung, wenn es zuhause nicht mehr ging, die Krankheit zu schwer wurde. Aber sie verbesserten die Lage nicht. „Man hatte ein paar Beschäftigungen. Aber auch viel freie Zeit. Da grübelt man dann weiter.“ Carolas Mutter las von Rebecca Bödes Angebot auf dem Nauener Hof. Carola war schon als Kind pferdeverliebt. Sie probierte es aus. „Mir ging es schlagartig besser“, erinnert sie sich. Durch das Reitenfinde sie zu sich selbst. „Man denkt dabei an nichts anderes. Und vor allem: Es gibt keinen Druck.“ Der überforderte Carola regelmäßig in ihrem Alltag.

Die Therapiekosten werden nicht von der Krankenkasse übernnommen

Die 47-Jährige kämpfte sich zurück ins Leben, machte eine Arbeitstherapie, mit der sie wieder Struktur in ihren Alltag brachte. Nun möchte sie am liebsten wieder in einen festen Job. Zum Pferd auf dem Müller-Hof würde sie gerne häufiger kommen. Aber das sei eine Frage des Geldes: Die Therapie wird von den Krankenkassen nicht bezahlt. 2006 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen, dass Reittherapie kein verordnungsfähiges Heilmittel ist.

Für ihren Nutzenfehlten die wissenschaftlichen Nachweise, hieß es. Derzeit laufe kein Beratungsverfahren beim G-BA, die Reittherapie in den Katalogder verordnungsfähigen Heilmittel aufzunehmen, so eine Sprecherin. Der Ausschuss wird nur auf Antrag, beispielsweise durch Trägerorganisationen wie den GKV-Spitzenverband, tätig. Das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten (DKThR) im Nordrhein-Westfälischen Warendorf führt, begleitet und fördert wissenschaftliche Studien zum Therapeutischen Reiten.

Therapeutisches Reiten kann die klassische Physiotherapie begleiten

Aus Sicht von Sprecherin Elke Lindner sticht eine Studie zum Einfluss der Hippotherapie auf Motorik und Lebensqualität von Kindern mit Zerebralparese, einer Bewegungsstörung, die durch eine frühkindliche Hirnschädigung entsteht, besonders hervor. Die Studie wurde unter wissenschaftlicher Leitung von Martin Häusler am Universitätsklinikum Aachen durchgeführt. Das therapeutische Reiten insbesondere in Form der Hippotherapie kann aus Sicht von Häusler die klassische Physiotherapie effektiv ergänzen.

Durch dieTherapie würden alle Muskeln dynamisch trainiert, die für das Gehen von Bedeutung seien. „Dabei wurde die positive Wirkung der Hippotherapie bisher in der Tat insbesondere in Bezug auf eine Verbesserung der Gehfunktion gezeigt“, so Häusler. Befürworter sind auch vom Nutzen der Reittherapie bei psychischen Krankheiten überzeugt.

„Grundsätzlich ist die Seele, sind seelische Vorgänge nicht wirklich messbar“, erklärt die Psychotherapeutin Birgit Heintz. Reduziere man die Befindlichkeit eines Menschen auf physiologische Parameter, so könne man aber zumindest den Cortisolspiegel als Stresspegel oder Beruhigungsindikator messen. Gleiches gelte für den Anstieg von Oxytocin bei der berührenden Begegnung zwischen Mensch und Pferd, „ebenso das Sich-Synchronisieren des Herzschlags der Therapiepartner“.