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"Nehmen Sie Penicillin", stand in einem der Briefe, die kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center verschickt wurden. Zwei US-Senatoren und Redaktionen amerikanischer Medienunternehmen erhielten im Oktober 2001 verdächtige Post. Ihr Inhalt war lebensbedrohlich: ein Pulver mit Milzbranderregern. Fünf Menschen, die die Briefe öffneten, starben an der Krankheit. 17 weitere infizierten sich, wurden aber schnell genug behandelt und überlebten. Die Briefe waren als islamistische Terroranschläge getarnt, doch die Ermittlungen des FBI ergaben, dass die Erreger aus einem US-amerikanischen Forschungslabor für Biowaffen stammten. Der aufsehenerregende Fall verbreitete auch in Deutschland Furcht vor Milzbrand, obwohl diese Krankheit hier kaum vorkommt.

Wie entsteht Milzbrand?

Milzbrand wird ausgelöst von einem Bakterium, Bacillus anthracis. Der Erreger kann mit Antibiotika gut bekämpft werden, gefährlich ist vielmehr das Gift, das er bildet. Wird die Krankheit erst erkannt, wenn sich das Gift schon im Körper ausgebreitet hat, kann sie tödlich enden. Der Milzbranderreger kann Jahrzehnte lang in der Erde überdauern. Dafür bildet er sogenannte Sporen, die ungünstigen Umweltbedingungen wie Trockenheit und Hitze trotzen. Die Sporen werden von grasenden Tieren aufgenommen, die dann an Milzbrand erkranken. Meist infizieren sich Weidetiere wie Rinder damit.

Von den Tieren kann die Krankheit auf Menschen übertragen werden. Früher war Milzbrand unter Gerbern weit verbreitet. Berufsgruppen, die mit Nutztieren oder Tierprodukten arbeiten, tragen noch immer ein erhöhtes Ansteckungsrisiko. Doch tierärztliche Untersuchungen, bessere Hygiene und Tierimpfungen haben die Gefahr stark eingedämmt. In Deutschland treten hin und wieder vereinzelte Fälle in Tierherden auf, im Sommer 2012 verendeten in Niedersachsen mehrere Kühe daran. Die Menschen, die mit den Rindern Kontakt hatten, wurden vorsorglich behandelt und blieben gesund.

Beratender Experte: Professor Dr. Roland Grunow leitet das Konsiliarlabor für B. anthracis am Robert Koch-Institut in Berlin. Er berät Ärzte, die zu Milzbrand Fragen haben und betreut die Spezialdiagnostik

Beratender Experte: Professor Dr. Roland Grunow leitet das Konsiliarlabor für B. anthracis am Robert Koch-Institut in Berlin. Er berät Ärzte, die zu Milzbrand Fragen haben und betreut die Spezialdiagnostik

Wie steckt man sich an?

Es gibt vier verschiedene Wege der Infektion: Wenn man das Fleisch erkrankter Tiere isst, ohne es vorher ausreichend zu erhitzen, gelangt der Erreger in den Verdauungstrakt und ruft den sogenannten Darmmilzbrand hervor. Die Sporen können auch über die Atemwege in die Lunge geraten und den Lungenmilzbrand verursachen. Diese beiden Formen zeigen die schwersten Krankheitsverläufe, oft mit tödlichem Ausgang.

Am häufigsten stecken sich Menschen an, die infizierte Tiere berühren. Über kleine Hautverletzungen – meist an Kopf, Hals oder Armen – dringen die Bakterien in den Körper und bilden den Hautmilzbrand.

In den vergangenen Jahren erkrankten mehrere Heroinkonsumenten an dem sogenannten Injektionsmilzbrand, der in circa 30 Prozent der Fälle tödlich verläuft. Vermutlich waren die Drogen, die sie sich spritzten, mit Anthraxsporen verunreinigt. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch wurde bisher nicht beschrieben. Es ist aber denkbar, dass man sich über die verunreinigte Kleidung eines Patienten oder durch direkten Kontakt mit Körperflüssigkeiten, etwa aus Wunden, anstecken kann.

Welche Symptome sind typisch?

Die Erreger verursachen unterschiedliche Symptome, je nachdem, wie sie in den Körper gelangt sind. Ist der Milzbranderreger in eine kleine Wunde eingedrungen, bilden sich an der Haut Blasen und Schwellungen. Mit der Zeit weichen die Blasen einem schwarzen Schorf und es bildet sich ein Geschwür (Ulcus), denn das Gewebe wird durch den Erreger zerstört. Um die Wunde herum entwickeln sich meist große Blutergüsse, weil Blut aus den Adern austritt. Wenn jemand Milzbrandbakterien eingeatmet hat, zeigt er meist nach vier bis elf Tagen Grippe-ähnliche Symptome wie Fieber, Schüttelfrost, Schweißausbrüche, Müdigkeit und Unwohlsein. Später kommen Atemnot und trockener Husten dazu, auch Verwirrungszustände können auftreten.

Hat sich ein Patient infiziert, weil er verunreinigtes Fleisch gegessen hat, leidet er drei bis sieben Tage später an allgemeinen Beschwerden wie Übelkeit, Appetitlosigkeit, Fieber, leichtem Durchfall und Erbrechen. Häufig zeigt diese Infektion einen schweren Verlauf, wobei die Bakterien Blutungen im Verdauungstrakt auslösen; blutiger Durchfall und Erbrechen sind die Folge. Wasser kann sich in der Bauchhöhle ansammeln. Beim Injektionsmilzbrand – wie bei den Drogenkonsumenten – stehen schwere Schwellungen (Ödeme), Blasen- und die Bildung von Geschwüren im Vordergrund. Häufig wird die betroffene Körperregion an der Einstichstelle so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass nur eine aufwendige chirurgische Behandlung verhindern kann, dass immer mehr Gewebe abstirbt.

Wie kann der Arzt Milzbrand diagnostizieren?

Die Diagnose ist schwierig, da die ersten Symptome meist sehr unspezifisch sind und auf verschiedenste Erkrankungen hinweisen. Die Infektion über die Haut ist durch einige typische Merkmale noch am ehesten zu erkennen: eine eiterfreie Wunde, die meistens nicht schmerzt, umgeben von Blutergüssen und nach einigen Tagen von schwarzem Schorf bedeckt. Um die anderen Ansteckungsformen als Milzbrand zu identifizieren, muss der Arzt die richtigen Fragen stellen. Hatte der Patient in den letzten Tagen Kontakt zu Tieren oder Tierprodukten, kommt eine Anthrax-Infektion in Betracht. Nur Experten im Labor, zum Beispiel am Robert Koch-Institut, können klären, ob es sich tatsächlich um Milzbrand handelt. Sie brauchen dafür eine Probe, die möglicherweise Bakterien enthält; diese gewinnt der Arzt durch einen Wundabstrich, aus "Nervenwasser" (Liquor), Lungenspülwasser, dem Auswurf, dem Blut oder Stuhl des Patienten.

Die Bakterien darin müssen isoliert und unter hohen Sicherheitsmaßnahmen gezüchtet werden. Unter dem Mikroskop erkennt man Anthrax-Bakterien daran, dass sie stäbchenförmig sind und kurze Ketten bilden. Gentechnische Methoden identifizieren die Erreger schließlich zweifelsfrei. Zusätzlich können Abwehrstoffe (Antikörper) gegen den Milzbranderreger nachgewiesen werden. Auch nach einer überstandenen Milzbranderkrankung sind diese noch im Blut des Patienten zu finden. Der Krankheitsverdacht, die Erkrankung und der Tod an Milzbrand sowie der Nachweis von Bacillus anthracis, soweit er auf eine akute Infektion hinweist, sind in Deutschland meldepflichtig.

Wie sieht die Therapie aus?

Bereits wenn der Verdacht besteht, dass jemand mit Anthraxerregern in Berührung gekommen ist – etwa wenn ein Landwirt erkrankte Tiere hat – wird er sofort mit Antibiotika behandelt, auch wenn er keine Symptome zeigt. Bis zu 60 Tage lang müssen die Mittel vorsorglich eingenommen werden. Meist wird Penicillin, Doxycyclin oder Ciprofloxacin (für Kinder unter 8 Jahren ungeeignet) verwendet. Wird bei einem Patienten Anthrax diagnostiziert, bekommt er sieben bis zehn Tage lang Antibiotika, wenn es sich um eine weniger schwere Ansteckung über die Haut handelt; oder über einen längeren Zeitraum, wenn sich die Bakterien im Körper ausgebreitet haben. Patienten mit ernsten Symptomen müssen auf der Intensivstation überwacht werden.

Milzbrand und seine Bedeutung als biologischer Kampfstoff

Das erste Mal wurde Anthrax wohl im ersten Weltkrieg eingesetzt. In Deutschland infizierte man Tiere, die per Schiff zu den Alliierten transportiert werden sollten. Verschiedene Länder erforschten seitdem die militärische Nutzung der Bakterien. 1979 kam es im russischen Jekaterinburg, das damals noch Swerdlowsk hieß, zu einem Unfall: Aus einer Fabrik für biologische Kampfstoffe wurden Erreger freigesetzt. Der Wind verbreitete die Bakterien in der Umgebung. Mindestens 77 Menschen erkrankten daraufhin an Milzbrand, 66 starben. Im Irak wurden in den 1990-er Jahren Bomben und SCUD-Raketen mit Bacillus anthracis befüllt, allerdings nicht gezündet. Der jüngste Einsatz der Bakterien ist die Anschlagsserie in den USA im Oktober 2001, als Anthraxsporen per Post versendet wurden.

Quellen:
http://whqlibdoc.who.int/publications/2008/9789241547536_eng.pdf
http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Anthrax.html
http://www.fbi.gov/about-us/history/famous-cases/anthrax-amerithrax
Greenfield, R. A. et al (2002): Bacterial Pathogens as Biological Weapons and
Agents of Bioterrorism in: The American Journal of the Medical Sciences, 23(6), S.299-315.
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