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Pulsierende, häufig einseitige Kopfschmerzen, die bei körperlicher Aktivität zunehmen und oft von Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit begleitet sind – über fünf Millionen Deutsche leiden unter Migräneattacken, einige davon können dann sogar kaum das Bett verlassen.

Vor allem bestimmte genetische Faktoren erhöhen das Risiko, an Migräne zu erkranken. Eine Meta-Studie aus dem Jahr 2016 weist etwa darauf hin, dass eine genetisch bedingte Regulationsstörung der Blutversorgung im Gehirn Migräneanfälle wahrscheinlicher macht. Besteht eine solche Veranlagung, führen unterschiedliche "Trigger", also auslösende Faktoren, in unregelmäßigen Abständen zu Schmerzattacken.

Von Hot-Dog-Kopfschmerz und Chinarestaurant-Syndrom

Auch Nahrungsmittel stehen immer wieder als Trigger unter Verdacht, unter anderem Schokolade, Rotwein, Käse und Zitrusfrüchte.

Einzelne Menschen scheinen tatsächlich stark auf Inhaltsstoffe in Lebensmitteln zu reagieren. Eine Unverträglichkeit der Eiweißstoffe Histamin oder Tyramin, die unter anderem in gereiftem Käse oder Zitrusfrüchten stecken, hat eventuell einen Einfluss auf das Schmerzgeschehen. Es handelt sich dann jedoch nicht um Migräneattacken, sondern um sekundäre Kopfschmerzen, die durch eine bestimmte Substanz ausgelöst wurden. Neben dem Kopfweh treten meist noch andere  Beschwerden auf, zum Beispiel Juckreiz und Magen-Darm-Probleme. Das Pökelsalz Nitrit, das beim Haltbarmachen von Wurst und Fleisch verwendet wird, gilt ebenfalls als mögliche Ursache. "Wir kennen sogar den Begriff Hot-Dog-Kopfschmerz", sagt Professor Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik in Kiel. "Nach dem Genuss von gepökelten Wurstwaren können starke Kopfschmerzen auftreten."

Auch der Geschmacksverstärker Glutamat, häufig in asiatischen Gerichten verwendet, soll bei empfindlichen Menschen unter anderem Kopfweh, Taubheitsgefühle im Gesicht oder Nackensteife auslösen – ein Phänomen, das als China-Restaurant-Syndrom bekannt ist. "Glutamat wirkt im Organismus wie ein Botenstoff und verursacht möglicherweise durch eine Überaktivierung der Nervenzellen im Gehirn Kopfweh", so der Schmerzexperte. In kontrollierten Experimenten ließen sich die beschriebenen Symptome allerdings nicht eindeutig auf den Genuss von Glutamat zurückführen. Experten vermuten daher, dass bei den teilweise heftigen körperlichen Reaktionen auf bestimmte Inhaltsstoffe auch psychosomatische Faktoren eine Rolle spielen.

Schmerz durch negative Erwartungshaltung

"Wenn wir erwarten, durch ein Lebensmittel einen Migräneanfall zu bekommen, kann das tatsächlich passieren", bestätigt Göbel. Genau wie eine positive Erwartung unser Befinden verbessern kann ("Placebo-Effekt"), sind Befürchtungen in der Lage, unseren Zustand zu verschlechtern. "Man nennt das den Nocebo-Effekt, lateinisch ‚ich werde schaden’", erklärt der Schmerzexperte. "In einer Untersuchung setzten wir zwei Gruppen von Teilnehmern exakt die gleiche Schokoladensorte vor. Nur einer Gruppe sagten wir, die Süßigkeit enthalte schmerzfördernde Substanzen. Und wirklich erlitten 30 Prozent der Versuchspersonen dieser Gruppe nach Genuss der Schokolade eine Kopfschmerzattacke."

Solche Erkenntnisse machen es schwer, allgemeingültige Regeln für das Vermeiden von Nahrungsmitteln aufzustellen. Und während mancher Migränepatient der festen Überzeugung ist, jeden Schokoriegel mit einem Schmerzanfall büßen zu müssen, weiß Göbel, dass der Eindruck trügt: "Der Heißhunger auf Süßes und Hochkalorisches kann einer Attacke vorausgehen und gehört bereits zum Anfall." "Das Naschen löst aber nicht den Schmerz aus, sondern ist eine letzte, meist vergebliche Schutzreaktion auf das Energiedefizit in den Nervenzellen. Es kündigt den Beginn einer Migräne-Episode an, die sowieso eingetreten wäre – auch, wenn man sich die Schokolade verkniffen hätte", so Göbel weiter.

Wie kommt es zu einem Migräneanfall?

Welche Vorgänge eine Migräneattacke auslösen, ist noch nicht genau bekannt. Nervenbahnen im Hirn von Migränepatienten sind vermutlich übermäßig aktiv, weshalb sie einen erhöhten Energiebedarf haben könnten. Kommt es zu einem Energiemangel, kann dies einen Anfall auslösen – so die Annahme. Dabei spielen möglicherweise auch bestimmte Botenstoffe eine Rolle, die eine Entzündung im Hirngewebe hervorrufen und die Schmerzen hervorrufen.

Tipps bei Migräne:

Energiemangel im Gehirn vermeiden

Warum Heißhunger ein Vorbote sein kann, erklären Forscher mit einem erhöhten Energiebedarf im Gehirn von Migränepatienten. Nach heutigem Kenntnisstand verarbeitet ihr Nervensystem Informationen besonders schnell. "Ausschlaggebend ist nicht so sehr, was der Betroffene isst, sondern wie häufig und wie regelmäßig. Ein konstanter Blutzuckerspiegel ohne große Schwankungen im Tagesverlauf kann Migräneanfällen nachweislich vorbeugen oder die Häufigkeit reduzieren", so Göbel. Besser geeignet als ein schneller Zuckerschub durch Schokolade sind regelmäßige, ausgewogene Mahlzeiten mit komplexen Kohlenhydraten aus Vollkornprodukten, Kartoffeln, Obst und Gemüse.

Keine Mahlzeit ausfallen lassen, nicht ohne Frühstück aus dem Haus gehen: Wer das beherzigt, senkt die Gefahr häufiger Attacken schon deutlich. Auf Fastenkuren und Low-Carb-Diäten sollte man verzichten. Denn wenn das Gehirn zu wenig Nährstoffe oder hauptsächlich Fette und Eiweiße zur Verfügung gestellt bekommt, steigt wieder das Risiko einer unzureichenden Energieversorgung. "Das Gehirn verbrennt nämlich ausschließlich Kohlenhydrate, kann aus Fett oder Protein im Normalzustand keine Energie gewinnen", so die Erklärung des Experten.

Alkohol schlecht, Kaffee gut?

Während Sekt, Wein oder Likör immer wieder als Trigger genannt und daher von vielen Betroffenen gemieden werden, schwören einige Migräneleidende auf den schmerzlindernden Effekt von gesüßtem Espresso oder Kaffee – teilweise in Verbindung mit einem Spritzer Zitronensaft. "Tatsächlich lösen süße Alkoholika wie liebliche Weine oder Liköre häufig Attacken aus", bestätigt Hartmut Göbel. "Der enthaltene Fruchtzucker stört offenbar den Kohlenhydratstoffwechsel im Gehirn und bringt die Energieversorgung der Nervenzellen ins Stocken. Trockene Weine hingegen haben oft keinen negativen Effekt."

Und dass Kaffee als Hausmittel empfohlen wird, hängt mit der aktivierenden Wirkung des Koffeins zusammen. Es beschleunigt die Energieverwertung im Gehirn. "Sparen Sie sich den Zitronensaft, er schmeckt scheußlich und hat keinen Nutzen", rät der Wissenschaftler. "Trinken Sie stattdessen ein Glas Wasser zum Kaffee und geben Sie einen Löffel Zucker hinzu." Auch dieser Tipp bringt aber nicht allen Besserung: Wenn die Entzündungsmechanismen an den Blutgefäßen der Hirnhäute bereits ablaufen, kommt die Maßnahme womöglich zu spät. Generell unterstützt eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr die Hirndurchblutung und senkt so das Schmerzrisiko. Ob bestimmte Nahrungsergänzungsmittel einem Migräneanfall vorbeugen können, lässt sich derzeit nicht sicher sagen.

Fazit: Keine spezielle Migräne-Diät nötig 

Göbel hält den Einfluss der Ernährung auf eine Migräne nach neuesten Erkenntnissen für eher gering. "Früher gingen viele Forscher davon aus, dass Migräne als allergische Reaktion auf einzelne Substanzen in Nahrungsmitteln auftritt. Doch die Zusammenhänge ließen sich in Studien bis heute nicht belegen."

"Regelmäßig essen mit Muße und Genuss, dabei auf komplexe Kohlenhydrate setzen und ausreichend trinken, ist der beste Migräneschutz", fasst der Mediziner zusammen. Von Auslassdiäten und ständigem Tagebuchführen, um auslösenden Lebensmitteln und Triggern auf die Spur zu kommen, hält er wenig. "Das Thema Ernährung ist dann nur noch mit Stress verbunden. Und Stress fördert bekanntermaßen ebenfalls Schmerzen."