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Was ist ein Hirnschrittmacher?

Bei bestimmten neurologischen Krankheiten kann die tiefe Hirnstimulation (umgangssprachlich Hirnschrittmacher) helfen. Neurochirurgen setzen das Hirnstimulations-System in den Körper ein: Elektroden werden im Gehirn platziert, um bestimmte Hirnareale zu stimulieren. Diese Elektroden erhalten elektrische Impulse von einem Impulsgenerator, der sich meist im Brustbereich unter der Haut befindet. Elektroden und Generator sind durch ein Kabel miteinander verbunden. Wie sich die tiefe Hirnstimulation in sämtlichen Details auf das Nervensystem auswirkt, erforschen Wissenschaftler noch.

Einsatzgebiete der tiefen Hirnstimulation

Wichtigstes Einsatzgebiet der tiefen Hirnstimulation ist die typische, sogenannte "idiopathische" Form der Parkinson-Krankheit. Bei dieser Bewegungsstörung gehen bestimmte Nervenzellen des Gehirns unter. Dabei handelt es sich um die "dopaminergen Neurone" in der Substantia nigra.

Diese Nervenzellen helfen normalerweise, Bewegungen zu koordinieren. Ohne sie fällt ihr hemmender Einfluss auf wichtige Hirnareale weg, speziell die so genannten Basalganglien tief im Inneren des Gehirns. In der Folge entstehen die typischen Parkinson-Symptome.

Hierzu zählen Muskelsteifheit (Rigor), Zittern (Tremor) und Bewegungsarmut (Akinese). Zwar können bestimmte Medikamente wie L-Dopa und so genannte Dopaminagonisten dieses Ungleichgewicht abmildern. Nach einigen Jahren verlieren die Medikamente jedoch zeitweise im Tagesverlauf ihre Wirksamkeit und die Patienten schwanken zwischen Phasen guter und schlechter Beweglichkeit (Fluktuationen). Die Medikamente können auch ihrerseits Bewegungsstörungen auslösen, die Fachleute Dyskinesien nennen.

Charakteristische Veränderung des Gangbildes bei Morbus Parkinson ohne Therapie

Charakteristische Veränderung des Gangbildes bei Morbus Parkinson ohne Therapie

Deshalb nutzen Ärzte in solchen Fällen die tiefe Hirnstimulation. Dabei regt sie die Basalganglien an, um die den Bewegungsablauf gewissermaßen neu zu takten. Dadurch lassen sich die Parkinsonsymptome in vielen Fällen deutlich lindern. Zusätzlich können Patienten die Dosis ihrer Medikamente meist deutlich reduzieren. Damit nehmen oft auch deren Nebenwirkungen ab.

Ärzte nutzen die Hirnschrittmacher auch beim "essentiellen Tremor": Etwa fünf Prozent der Menschen über 65 Jahren leiden unter dieser Form des Zitterns. Meist sind die Hände betroffen. Bei sehr schweren Formen, bei denen auch Medikamente nicht weiter helfen, kann ein Hirnschrittmacher die Symptome lindern. Gleiches gilt für die Krankheitsgruppe der Dystonien: Man unterscheidet fokale, auf bestimmte Körperregionen beschränkte Verkrampfungen (zum Beispiel der krampfartige Lidschluss, Blepharospasmus, oder Verkrampfungen der Halsmuskulatur, der Torticollis spasmodicus) und generalisierte, alle Körperteile betreffende Dystonien. Vor allem bei letzteren raten Experten öfter zur Behandlung mit dem Hirnschrittmacher.

Wissenschaftler erkunden zudem weitere mögliche Einsatzgebiete für die tiefe Hirnstimulation. Bei Epilepsien und verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen, Zwangserkrankungen erhalten die Patienten Hirnschrittmacher bisher allerdings lediglich im Rahmen von Studien.

Wie läuft der Eingriff ab?

Die Patienten müssen vor der Operation neurologische, neuropsychologische, psychiatrische, radiologische und elektrophysiologische Untersuchungen durchlaufen. Das Hirnareal, das später mittels der Elektroden stimuliert werden soll, müssen die Ärzte mit hoher Genauigkeit festlegen.

Die eigentliche Operation besteht aus zwei Schritten: Im ersten Teil platziert der Operateur die Elektrode am offenen Gehirn. Häufig sind die Patienten dabei bei vollem Bewusstsein. Sie erhalten aber eine örtliche Betäubung, damit sie keine Schmerzen verspüren. Während des Eingriffs unterstützen sie den Operateur, indem sie beispielsweise Rückmeldung geben, falls sie ein Kribbeln oder ähnliches bemerken. Ist die Elektrode platziert, testet der Operateur die korrekte Lage, indem er elektrische Impulse von außen setzt.

Ist dies erfolgreich, erhalten die Patienten während des zweiten Teils der Operation den eigentlichen Hirnschrittmacher unter Vollnarkose. Diesen platziert der Operateur meist im Brustbereich unter der Haut. Von dort legt er dann – ebenfalls unter der Haut – ein Verbindungskabel zu den Elektroden. Bereits während der Operation programmieren die Ärzte die ersten Grundeinstellungen des Hirnschrittmachers. Die "Feinjustierung" erarbeiten Ärzte und Patienten dann gemeinsam in den folgenden Wochen und Monaten.

Die eingebaute Batterie hält für gewöhnlich drei bis fünf Jahre. In letzter Zeit konnten neue Aufladesysteme diese Zeit auf bis über 20 Jahre verlängern.

Wann kommt eine tiefe Hirnstimulation infrage?

Sich einer Behandlung mit einem Hirnschrittmacher zu unterziehen, ist immer eine individuelle Entscheidung, die nur mit Fachärzten mit besonderer Erfahrung getroffen werden sollte.

Üblicherweise kommt die tiefe Hirnstimulation in fortgeschrittenen Stadien der genannten Erkrankungen zum Einsatz, wenn die Medikamente nur unzureichend wirken oder zu starke Nebenwirkungen verursachen.

Die Ärzte sind bei dieser Therapie auf die intensive Mitarbeit der Patienten angewiesen. Insofern raten sie insbesondere bei Demenz und schweren psychiatrischen Erkrankungen von einer Behandlung ab. Daneben sprechen auch bestimmte Hirnveränderungen und schwere Allgemeinerkrankungen gegen eine Hirnschrittmacher-Therapie: Beides würde das Operationsrisiko deutlich erhöhen.

Gibt es Nebenwirkungen und Komplikationen?

Bei fehlerhafter Lage der Elektrode oder zu starker Stimulation können neurologische Auffälligkeiten auftreten. Dazu zählen Kribbelgefühle, Sprach- und Gangstörungen und Schwindel. Auch psychische Nebenwirkungen können die Folge sein: Sie reichen von depressiven Verstimmungen bis zu übermäßig euphorischem Verhalten (Manie) und Verlust der Impulskontrolle. In der Regel können die Ärzte diese Nebenwirkungen mildern oder beheben, indem sie die stimulierenden Impulse des Schrittmachers korrigieren. Notfalls können sie den Hirnschrittmacher einfach ausschalten.

Daneben kann auch der chirurgische Eingriff selbst zu unerwünschten Vorkommnissen führen: Am häufigsten treten im Zusammenhang mit der Operation Blutungen, Verletzungen des Gehirns und Infektionen auf.

Risiken gegen die Verbesserung der Lebensqualität abwägen

Zwar handelt es sich bei der tiefen Hirnstimulation "nur" um eine symptomatische Therapie, da sie die eigentliche Erkrankung nicht heilen kann. Viele Patienten erfahren durch sie jedoch eine erhebliche Verbesserung ihrer Lebensqualität. Ärzte schätzen die tiefe Hirnstimulation als nebenwirkungsarmes und gleichzeitig effektives Therapieverfahren. Beide – Ärzte und Patienten – müssen im Vorfeld die krankheitsbedingte Einschränkung der Lebensqualität gegen die möglichen Risiken eines operativen Eingriffs abwägen.

Professor Günther Deuschl

Professor Günther Deuschl

Beratender Arzt: Prof. Dr. med. Günther Deuschl ist Arzt für Neurologie und Direktor der Neurologischen Klinik der Christian-Albrechts-Universität Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel. Er hat seine Ausbildung in München, Freiburg und in Washington erhalten und hat sich 1988 in Freiburg habilitiert. Seine klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte sind neurodegenerative Erkrankungen wie der Morbus Alzheimer und der Morbus Parkinson. Er hat die neue Behandlungsmethode der tiefen Hirnstimulation für die Parkinson-Krankheit und andere Bewegungsstörungen mitentwickelt.

Quellen:
1. Schlapfer TE: Deep brain stimulation as possible alternative for therapy resistant depression. Nervenarzt 2014;85(2):156-161
2. Vesper J, Slotty PJ: Technical innovations in deep brain stimulation. Nervenarzt 2014;85(2):169-175
3. Bartsch C, Kuhn J: Deep brain stimulation for addiction, anorexia and compulsion. Rationale, clinical results and ethical implications]. Nervenarzt 2014;85(2):162-168
4. Erasmi R, Deuschl G, Witt K: Deep brain stimulation for Parkinson's disease: timing and patient selection. Nervenarzt 2014;85(2):137-146
5. Reich MM, Volkmann J: Deep brain stimulation for hyperkinetic movement disorders]. Nervenarzt 2014;85(2):147-155
6. Gautschi OP, Haegele S, Cadosch D et al: Tiefe Hirnstimulation – Möglichkeiten und Grenzen. In: Schweizerische Rundschau für Medizin Praxis 2011, 100 (8): 469-477
7. Tiefe Hirnstimulation. Schrittmacher im Schädel. In: Pharmazeutische Zeitung 2010, 155: 30-34
8. Schmid F: Hirnschrittmachersysteme – aktueller Stand und Zukunft, Schriften der Hochschule Offenburg 2013

Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.