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Die Herz(angst)neurose wird auch Kardiophobie oder Da-Costa-Syndrom genannt. Sie zählt zu den Angststörungen. Betroffene glauben, unter einer Herzerkrankung zu leiden oder haben das Gefühl einen Herzinfarkt zu bekommen. Das Herz der Patienten ist aber gesund: Tatsächlich ist es die Angst vor einer Herzerkrankung, die die Probleme auslöst.

Experten schätzen, dass im Laufe ihres Lebens bis zu fünf Prozent der Bevölkerung unter dieser sogenannten funktionellen Herz-Kreislauf-Störung leiden. "Es handelt sich meistens um jüngere Patienten, Männer zwischen 18 und 40 Jahren", erklärt Dr. Ralf Berthel, Facharzt für Innere Medizin und Oberarzt am Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin. Ein bekannter Patient war der Dichter Berthold Brecht, der offenbar schon als junger Mann unter Herzangst litt.

Symptome: Der Herzinfarkt, der keiner ist

Patienten mit einer Herzangstneurose haben teils über einen langen Zeitraum Beschwerden, die einer Herzerkrankung ähneln. Sie empfinden die Symptome als sehr bedrohlich, beängstigend und sehr real – umso mehr, je stärker sie ihre Aufmerksamkeit darauf richten. Dies können Herzrasen und Herzstolpern sein, aber auch Herzschmerzen, die oft in den linken Arm ausstrahlen. Andere Symptome sind Stechen oder Brennen in der Herzgegend sowie ein Druck- und Engegefühl in der Brust.

Wichtig zu wissen: Solche Symptome können tatsächlich auf eine Herzerkrankung – etwa einen Herzinfarkt – hindeuten. Deshalb sollten sie unverzüglich ärztlich abgeklärt werden, wenn sie erstmals auftreten! Bei Patienten mit Herzangst ergibt die gründliche Untersuchung allerdings, dass das Herz völlig gesund ist, die Ärzte geben eindeutig Entwarnung. Trotzdem kommen die Beschwerden immer wieder.

Die Ängste um die eigene Herzgesundheit treten bei vielen Betroffenen in Anfällen auf und können zu einer Panikattacke mit Atemnot und verstärker Atmung (Hyperventilation), starkem Schwitzen, Schwindel und Ohnmachtsgefühlen führen. Manche Patienten erleben laut Berthel auch regelrechte "Herzattacken" mit Todesangst.

Die beschwerdefreie Zeit der Patienten wird meist durch die Sorge und Angst vor der nächsten "Attacke" bestimmt. Die Betroffenen beschäftigen sich oft intensiv mit dem Thema Herzerkrankungen, kontrollieren wiederholt Puls und Blutdruck und fühlen sich nur in der Umgebung von Krankenhäusern und Ärzten sicher.

Von einen Arzt zum anderen

Findet der Arzt nach einer solchen "Attacke" keine körperliche Ursache, fühlen sie sich die Betroffenen dadurch häufig gar nicht oder nur für einen kurzen Zeitraum besser. Es fällt schwer, die Möglichkeit zu erwägen, dass die körperlich spürbaren Beschwerden seelisch bedingt – psychosomatisch – sein könnten. Die Symptome scheinen eindeutig vom Herzen zu kommen. Häufig beginnt so eine jahrelange "Ärzte-Odyssee".

Angst vor der Angst

Aus Angst, die vermeintlichen Herzbeschwerden zu verschlimmern, versuchen sich viele Betroffene zu schonen und schränken sich in ihren Alltagsaktivitäten ein. Mögliche Folge: Vermeintlich ernste Herz-Symptome treten manchmal noch häufiger auf, zum Beispiel schon bei leichterer Anstrengung. Denn durch die Schonung hat die die allgemeine Fitness abgenommen.

Menschen mit Herzangst leiden unter der Angst vor der Angst. Sie beobachten sich ganz genau, sorgen sich ständig um ihr Herz – und geraten so in einem permanenten Alarmzustand. Das ist ihnen meist gar nicht bewusst.

Beratender Experte: Dr. med. Ralf Berthel, Facharzt für Innere Medizin, Oberarzt am Martin-Luther-Krankenhaus, Berlin

Beratender Experte: Dr. med. Ralf Berthel, Facharzt für Innere Medizin, Oberarzt am Martin-Luther-Krankenhaus, Berlin

Ursache: die Psyche

Für die Herzangst gibt es normalerweise keine körperlichen Ursachen. Die Symptome entstehen in der Regel durch meist unbewusste Ängste des Betroffenen. Innere Konflikte werden auf ein anderes Ziel übertragen, in diesem Fall auf das Herz.

Berthel erklärt, dass Auslöser belastende Lebensereignisse wie Trennung, berufliche Probleme, Unfälle, Krankheit und Tod einer nahestehenden Person sein können. Viele Betroffene haben in ihrem Umfeld eine Person, die tatsächlich eine Herzerkrankung hatte, etwa einen schweren Herzinfarkt.

"Klassisch ist der sogenannte vegetative Teufelskreis des Herzangst-Anfalls", sagt der Experte für Innere Medizin. "Hier wird zum Beispiel eine einzelnes Herzstolpern oder ein etwas zu schnellerer Puls als Zeichen einer bedrohlichen Herzerkrankung gedeutet." Dadurch steigt die Angst, das vegetative Nervensystem wird aktiviert: es kommt zu noch schnellerem Puls (Tachykardie), schnellerer Atmung (Hyperventilation) und Schwindel. "Bei weiterer Zunahme der Angst kann das kann bis zur Panik führen", weiß Berthel.

Psychologen sehen in der Herzangstneurose eine Art Abwehrmechanismus: Die vermeintliche Herzerkrankung lenkt von den eigentlichen Ängsten ab, wodurch diese vorübergehend für den Betroffenen ihre Bedrohlichkeit verlieren.

Manchmal können auch Missverständnisse mit Ärzten eine Herzneurose auslösen, wenn zum Beispiel die Harmlosigkeit mancher Befunde dem Patienten nicht richtig erklärt wird oder Befunde mehr Gewicht bekommen, als angemessen wäre.

Eine Herzneurose kann auch im Zusammenhang mit anderen psychischen Erkrankungen auftreten, etwa bei Depressionen oder Angststörungen.

Behandlung bei Herzangst

Treten die Symptome das erste Mal auf, muss der Patient unbedingt gründlich untersucht werden. Der Arzt wird zum Beispiel ein EKG, einen Belastungstest oder eine Echokardiografie vornehmen, eventuell auch Laborwerte bestimmen. Kann er keine körperlichen Ursachen feststellen und halten die Symptome weiterhin an, sollte möglichst bald mit einer Psychotherapie begonnen werden.

"Wichtig ist eine umfassende Information des Patienten über Art und Prognose der Beschwerden", rät Berthel. Ziel der Psychotherapie ist, dem Betroffenen behutsam bewusst zu machen, dass es keine organischen Ursachen für seine Herzbeschwerden gibt. Am Anfang der Therapie können Atmungs- und Entspannungsübungen wie die progressive Muskelentspannung oder Autogenes Training helfen, die Symptome zu bewältigen.

Bei der kognitiven Verhaltenstherapie lernt der Patient, mit seinen Herzangstattacken umzugehen. Mit psychodynamische Verfahren hilft der Therapeut dem Patient zu erkennen, welche Rolle seine persönlichen Erlebnisse in der Entstehung der Krankheit gespielt haben.

Bei schweren Formen der Herzangst können auch vorübergehend Beruhigungsmittel oder Antidepressiva verschrieben werden. Dies kommt vor allem infrage, wenn der Patient gleichzeitig unter einer Depression oder einer Angststörung leidet. "Die Medikamente sollten allerdings nicht unkritisch eingesetzt werden", sagt Berthel. Sie dürfen auch nicht die Psychotherapie ersetzen.

Quellen:

1. Herrmann-Lingen C, Albus C,Titscher G, Psychokardiologie, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, 2008

2. Möller HJ, Laux G, Deister A, Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme, Stuttgart, 4. Auflage, 2009

3. Leitlinien der Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. und des Deutsches Kollegiums für Psychosomatische Medizin: Umgang mit Patienten mit nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/001 (Abgerufen: 1.11.2013)

4. Matzat J, Jäniche H, Hausteiner-Wiehle C, "Mein Arzt findet nichts" –  so genannte nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden. Eine Leitlinie für Betroffene und ihre Angehörigen. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/001 (Abgerufen: 2.11.2013)

5. Machleidt W, Bauer M, Lamprecht F, Rose H K, Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Thieme, Stuttgart, 2004

6. ICD-10: F45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung
http://www.icd-code.de/suche/icd/code/F45.-.html?sp=SHerzphobie
(Abgerufen: 2.11.2013)

Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.

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