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Was ist Epilepsie?

Epilepsie ist keine einheitliche Erkrankung. Definiert wird sie über das hervorstechende Krankheitszeichen „epileptischer Anfall“.

Eine Epilepsie kann viele Ursachen haben – zum Beispiel genetische Veränderungen, Stoffwechselstörungen, Missbildungen des Gehirns, Folgen von Hirnverletzungen und Entzündungen des Gehirns, bis hin zu Hirntumoren und Schlaganfällen. Manchmal bleibt die Ursache auch unklar.

Eine Epilepsie ist so definiert, dass

  • außerhalb von 24 Stunden zwei epileptische Anfälle aufgetreten sein müssen
  • oder Informationen über Veränderungen des Gehirns vorliegen, die erwarten lassen, dass auf einen ersten Anfall in absehbarer Zeit weitere Anfälle folgen.

Ein epileptischer Anfall kann sehr unterschiedlich aussehen. Am bekanntesten ist der große epileptische Anfall. Der Betroffene verkrampft sich. Dann geht die Verkrampfung in Zuckungen über. Häufig ist die Atmung gestört und das Gesicht läuft bläulich an. Andere Anfallsformen fallen weniger auf. Zum Beispiel die Absence, die vor allem bei Schulkindern und Jugendlichen vorkommt. Hier drehen sich die Augen für wenige Sekunden nach oben und der Betroffene ist in dieser Phase nicht aufnahmefähig. Die Anzeichen epileptischer Anfälle variieren sehr stark. Mehr zu verschiedenen Anfallsformen lesen Sie weiter unten.

Der genaue Ablauf eines Anfalls ist für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte aufschlussreich und sollte von Angehörigen nach Möglichkeit dokumentiert werden. Eine Videoaufnahme mit dem Handy kann zum Beispiel hilfreich sein. Allerdings sollten Angehörige nur dann filmen, wenn sie das vorab mit den Betroffenen zu Diagnostik-Zwecken vereinbart haben. Und Erste Hilfe geht natürlich immer vor.

Anfallsformen und „Nachanfallsphase“

Fokale Anfälle: Epileptische Anfälle können im Gehirn herdförmig entstehen (fokale Anfälle). Manchmal sieht man dem Betroffenen gar nicht an, dass er einen Anfall hat. Er berichtet nur eine Wahrnehmung, wie zum Beispiel das Sehen von Blitzen in einer Hälfte des Gesichtsfeldes, Höreindrücke oder Kribbeln und Taubheitsgefühle im Bereich einer Extremität. Manche Eindrücke sind auch komplexer, wie Angstgefühle oder ein Déjà-vu, bei dem der Patient glaubt, etwas gerade Erlebtes habe er schon einmal erlebt. Dieses Phänomen kommt aber vereinzelt auch bei Gesunden vor. Es können auch motorische Elemente auftreten. Der Betroffene zeigt dann zum Beispiel Zuckungen der Hand, des Armes oder des Beines. Anfälle des Schläfenlappens im Gehirn gehen häufig mit Bewusstseinseinschränkungen einher. Der Patient kaut, schmatzt und macht unbewusste wiederholte Handbewegungen.

Generalisierte Anfälle: Generalisierte Anfälle betreffen beide Hirnhälften. Eventuell kommt es nur zu einem kurzen Aussetzer, der 10-20 Sekunden dauert. Begleitend kann der Betroffene blinzeln, die Augen nach oben bewegen oder den Kopf leicht nach hinten neigen (Petit Mal). Bei einem großen generalisierten Anfall (Grand Mal) verkrampft sich der Patient zunächst (tonische Phase). Gewöhnlich setzt dann nach 30-60 Sekunden eine Phase des Zuckens des ganzen Körpers ein (klonische Phase). Insbesondere beim großen epileptischen Anfall ist der Betroffene tief bewusstlos. Seine Atmung ist eingeschränkt und sein Gesicht kann sich blau verfärben.

Fokale Anfälle können in generalisierte Anfälle übergehen. Daneben gibt es noch weitere Anfallsformen. So können Zuckungen unregelmäßig am ganzen Körper auftreten oder komplexe Handlungen, wie Weglaufen oder bizarre Bewegungen beobachtet werden.

Es gibt auch Anfälle, in denen der Betroffene die Muskelspannung verliert und zusammensackt. Solche Anfälle werden als atonische Anfälle bezeichnet. Sie sind leicht zu verwechseln mit einer Ohnmacht (Synkope), einem kurzzeitigen Kreislaufzusammenbruch. Hier muss besonders genau unterschieden werden.

Auf der anderen Seite gibt es Anfälle, bei denen der Betroffene völlig versteift hinstürzt. Dies ist für ihn gefährlich und führt auch teilweise zu schweren Kopfverletzungen.

Phänomene nach dem Anfall

Es gibt unterschiedliche Phänomene nach einem Anfall. Experten nennen dies die „postiktuale“ Phase. Nach einem großen tonisch-klonischen Anfall schläft der Betroffene in der Regel längere Zeit. Anschließend ist er abgeschlagen und hat häufig spätestens am nächsten Tag einen Muskelkater. Hat er Schmerzen im Bereich des Rückens, muss kontrolliert werden, ob er sich womöglich einen Wirbelkörper gebrochen hat. Das kann vorkommen, weil enorme Muskelkräfte bei einem epileptischen Anfall dieser Art auftreten. Daher auch der Muskelkater.

Nach einem herdförmigen Anfall kann der Betroffene unter Umständen noch längere Zeit verwirrt, sprachgestört oder an der Extremität, an der der Anfall abgelaufen ist, gelähmt sein. Bei jungen Menschen dauert diese Phase meist nur wenige Minuten. Bei älteren Menschen dauert sie unter Umständen 24 Stunden und länger und kann mit einem Schlaganfall verwechselt werden. In der Phase nach dem Anfall sind manche Menschen auch für mehrere Tage depressiv. Auch „psychose-ähnliche“ Symptome, wie bei Patienten mit Schizophrenie, können in seltenen Fällen auftreten.

Wichtig für die Therapieplanung: Formen und Syndrome

Bei einer Epilepsie im Erwachsenenalter unterscheiden Ärzte generalisierte Epilepsien und herdförmige (fokale) Epilepsien. Ist die Zuordnung bekannt, fällt es leichter, geeignete Medikamente zu finden.

Im Kindesalter ist die Situation komplexer. Hier gibt es eine Vielzahl von Syndromen. Ein Syndrom ist ein Komplex aus der Erscheinungsform, dem Erscheinungsalter und den Ergebnissen technischer Untersuchungen, die diese Epilepsieform charakterisieren. Sie gestattet Spezialisten eine Aussage darüber, wie Medikamente wirken und wie der weitere Verlauf aussieht. So ist beispielsweise die Absence Epilepsie im Schulalter ein Syndrom, das mit charakteristischen EEG-Veränderungen einhergeht und in aller Regel spätestens mit der Pubertät verschwindet.

Wie häufig ist eine Epilepsie?

Die Epilepsie gehört zu den häufigen neurologischen Erkrankungen. Laut Leitlinie erkranken in Industrienationen pro Jahr 40 bis 70 von 100.000 Einwohnern neu an einer Epilepsie.

Besonders häufig treten epileptische Anfälle im frühen Kindesalter und im hohen Erwachsenenalter auf. Die Ursachen unterscheiden sich allerdings. Im höheren Lebensalter sind Anfälle beispielsweise öfter Folgen von Durchblutungsstörungen des Gehirns und Hirntumoren. Im Kindesalter sind die Ursachen häufig genetische Veränderungen, Schäden durch die Geburt, aber auch Missbildungen des Gehirns und andere Erkrankungen des Kindesalters, die das Gehirn betreffen.

Wie entsteht ein epileptischer Anfall?

Bei Menschen mit Epilepsie ist das Gehirn so verändert, dass es zum wiederholten Auftreten von epileptischen Anfällen neigt.

Wahrscheinlich entfalten Nervenzellgruppen in der Hirnrinde hoch synchrone, elektrische Aktivität, die unter bestimmten Umständen auf andere Nervenzellen übergreift. Ist eine genügend große Gruppe von Nervenzellen von diesem krankhaften Muster betroffen, kommt es zu äußeren Zeichen des epileptischen Anfalls. Er kann in alle Körperfunktionen eingreifen und je nach Ort des Geschehens variable Symptome produzieren.

Unverstanden ist bisher, warum die Mehrzahl der epileptischen Anfälle nach kurzer Zeit - in aller Regel unter zwei Minuten - beendet ist.

Äußere Faktoren können die Entstehung von Anfällen fördern. Dazu gehören extremer Schlafentzug, regelmäßiger und starker Alkoholkonsum, aber auch bestimmte Substanzen und Medikamente. Eine kleine Gruppe von Patienten bekommt auch Anfälle durch Sinnesreize. Am bekanntesten ist die Fotostimulation. Hier werden rhythmische Lichtreize zum Anfallsauslöser. Es gibt sogar epileptische Anfälle, die zum Beispiel durch Lesen ausgelöst werden.

Ist ein epileptischer Anfall gefährlich?

Bei einem epileptischen Anfall kommt es vor, dass Betroffene sich unwillkürlich auf die Zunge beißen.

Durch eine Bewusstseinseinschränkung beim Anfall oder danach, aber auch durch unkontrollierte Bewegungen oder Hör- und Sehstörungen während des Anfalls kann es zu Unfällen kommen. Bestimmte Sportarten wie Schwimmen und Klettern sind für Betroffene gefährlich. Auch die Tauglichkeit, selbstständig ein Kfz zu führen, ist bei fast allen Patienten, die noch Anfälle haben, eingeschränkt, beziehungsweise es besteht ein Fahrverbot. Für die Personenbeförderung und für das Lkw-Fahren gelten besonders strenge Richtlinien. Alle Menschen mit Epilepsie sollten sich zum Thema Fahrverbot / Fahrerlaubnis / Fahrtauglichkeit / Führerschein unbedingt fundiert von ihrem behandelnden Arzt beraten lassen.

Die meisten Menschen mit Epilepsie sind intellektuell uneingeschränkt leistungsfähig, obwohl sie manchmal viele epileptische Anfälle hatten und unter Umständen noch haben.

Normalerweise ist ein Anfall für das Gehirn nicht schädlich. Liegen Hirnleistungs-einschränkungen vor, sind sie in aller Regel nicht die Folge von Anfällen, sondern haben ihren Ursprung in der Ursache der Anfälle.

Die Ursache der Epilepsie bestimmt den sogenannten Phänotyp, also das Erscheinungsbild der Erkrankung. Genetische Veränderungen gehen zum Beispiel oft mit einer Intelligenzminderung und / oder verzögerten motorischen Entwicklung einher. Sind Schlaganfälle die Ursache einer Epilepsie, zeigen sie das typische Krankheitsbild, das vor allem in der Phase nach dem Anfall deutlich verstärkt sein kann.

Status epilepticus – so nennen Fachleute eine Serie von epileptischen Anfällen. Er kann bei langem Verlauf Schäden am Gehirn verursachen. Ein Status epilepticus ist für den Patienten lebensgefährlich, eine rasche intensivmedizinische Behandlung deshalb wichtig.

SUDEP: In seltenen Fällen ist auch ein einzelner epileptischer Anfall gefährlich. Meist ist dies ein tonisch-klonischer Anfall. Es kommt zu einem Herz-Kreislauf-Versagen. Das Phänomen nennt sich SUDEP. Es steht für „sudden unexpected death in epilepsy“ (plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie).

Erster Krampfanfall – gleichbedeutend mit Epilepsie?

Tritt ein erster Krampfanfall auf, sollte er in jedem Fall ärztlich abgeklärt werden. Die Ursache des epileptischen Anfalls könnte bereits dringend behandlungsbedürftig sein. So kann zum Beispiel im Rahmen eines Infektes ein epileptischer Anfall anzeigen, dass eine Hirnhaut- oder eine Gehirnentzündung vorliegt, die behandelt werden muss.

Weiterhin muss geklärt werden, ob der Anfall provoziert wurde und diese Provokation auch nachweislich bedeutend ist. Bei Kindern kann beispielsweise hohes Fieber zu Fieberkrämpfen führen, die üblicherweise nur behandelt werden, wenn sie wiederholt auftreten.

Beim ersten Anfall sollte immer die Frage geklärt werden, ob es sich tatsächlich um einen epileptischen Anfall handelte. Einfache Ohnmachten können zum Beispiel mit Zuckungen einhergehen (konvulsive Synkope), die einem epileptischen Anfall ähneln. Auch psychische Ausnahmesituationen können zu Anfallsphänomenen führen, die als epileptisch fehlgedeutet werden. Sie könnten eine unnötige Behandlung einleiten, wobei gleichzeitig womöglich die notwendige Behandlung der Psyche unterbleibt. Schlafphänomene können wie Anfälle aus dem Schlaf aussehen. So gibt es Verhaltensstörungen bei älteren Menschen im Schlaf, die nichts mit epileptischen Anfällen zu tun haben, aber wie Anfälle aus dem Stirnlappen im Gehirn aussehen können.

Die Diagnose eines Krampfanfalls erfordert viel Sorgfalt, damit die therapeutischen Weichen nicht falsch gestellt werden.

Wie wird die Diagnose gestellt?

Erster Ansprechpartner ist oft die hausärztliche Praxis. Sie kann an Spezialisten wie Neuropädiater oder Neurologen überweisen, die den Betroffenen nach einem ersten epileptischen Anfall genau untersuchen.

Das Elektroenzephalogramm (EEG) ist eine große Hilfe, weil es Veränderungen im Gehirn widerspiegelt und dazu beiträgt, die Epilepsie auch in ihrer speziellen Form (Syndrom) zu diagnostizieren. Ein unauffälliges EEG schließt allerdings eine Epilepsie nicht aus. Es muss unter Umständen wiederholt werden und durch Langzeitableitungen – auch unter stationären Bedingungen – ergänzt werden. Vor allem im Kindesalter macht es Sinn, ein EEG während des Schlafs durchzuführen, da spezielle EEG-Veränderungen erst im Schlaf sichtbar werden. Im EEG wird nach epilepsietypischen Potenzialen gesucht. Darüber hinaus bekommen die Ärzte einen Hinweis auf den Zustand des Gehirns.

Besteht der Verdacht auf eine infektiöse Erkrankung, wird oft Gehirnwasser untersucht. Sollte eine Entzündung (Enzephalitis / Meningitis) vorliegen, muss sie rasch behandelt werden, um Folgeschäden zu vermeiden.

Magnetresonanztomografie des Gehirns (MRT): Ein besonders wichtiges Diagnoseinstrument ist die Magnetresonanztomografie des Gehirns (MRT), die jeder Epilepsiepatient mindestens einmal im Leben bekommen muss. Mit ihr werden strukturelle Auffälligkeiten des Gehirns erkannt. Dies können Hirntumore sein, Folgen von Schädel-Hirn-Verletzungen oder Entzündungen, Zustände nach Schlaganfällen, Missbildungen des Gehirns, oder andere Erkrankungen des Gehirns, die ursächlich infrage kommen.

Es gibt akute Ursachen einer Epilepsie, die einen Handlungsbedarf haben und chronische Ursachen, die die Diagnose einer Epilepsie gestatten, aber außer der unten aufgeführten medikamentösen Behandlung zunächst keine Konsequenz haben.

EEG und MRT sind nach einem epileptischen Anfall wichtige Entscheidungshilfen, ob zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer Therapie begonnen werden soll. Sind beide Untersuchungen unauffällig, sollte in der Regel ein zweiter Anfall abgewartet werden. Betroffene sollten sich dazu aber individuell von ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten beraten lassen.

Überblick: Wie wird Epilepsie behandelt?

Eine Epilepsie kann sich erheblich auf das Leben eines Betroffenen auswirken. Eine ausführliche individuelle Beratung, insbesondere zu Themen wie Führerschein, Ausbildung, Arbeitsplatz, ist deshalb wichtig.

Informationen und gegenseitige Unterstützung bieten auch Selbsthilfegruppen, zum Beispiel www.epilepsie-vereinigung.de, www.epilepsie-online.de/home, www.epilepsiebayern.de.

Medikamente sind die erste Therapieoption. Sie greifen nicht in die Ursache der Epilepsie ein, sondern heben lediglich die Schwelle für epileptische Anfälle im Gehirn des Betroffenen an. Eine regelmäßige Medikamenten-Einnahme (Compliance) muss sichergestellt sein.

Neben Medikamenten gibt es operative Verfahren, die eine Epilepsie sogar heilen können, wenn der epileptische Herd aus dem Gehirn entfernt wird. Es handelt sich dabei um relativ komplizierte Eingriffe. Durch die Operation darf schließlich kein zusätzlicher neuer Schaden für den Betroffenen entstehen. Mehr dazu weiter unten bei „Hintergrund: Ausführliche Informationen zur Therapie“.

Bei manchen Epilepsieformen im Kindesalter, die durch Medikamente nicht kontrollierbar sind, kann eine besondere Diät helfen - die Keto-Diät. Diese Maßnahme sollte aber unbedingt mit den behandelnden Ärzten und Ärztinnen abgesprochen werden. Mehr dazu weiter unten bei „Hintergrund: Ausführliche Informationen zur Therapie“.

Weitere Therapieformen, wie zum Beispiel Akupunktur, sind in ihrer Wirksamkeit nicht ausreichend untersucht, das bedeutet, sie gelten als nicht evidenzbasiert.

Muss der Anfall behandelt werden?

Ein einzelner Anfall hat in aller Regel eine Dauer von weniger als zwei Minuten. Es gibt keine Substanz die, auch wenn sie in die Vene injiziert wird, innerhalb dieser zwei Minuten einen ausreichenden Effekt im Gehirn entwickelt. Es gibt daher für den „normalen“ epileptischen Anfall keine Notfallbehandlung. Auch sind die eingesetzten Medikamente „dämpfende“ Medikamente, die lange im Körper verbleiben und dem Patienten nach dem Anfall unter Umständen die Erholung erschweren. Ein unnötiger Einsatz sollte daher vermieden werden.

Ein länger dauernder Anfall kann allerdings gefährlich sein. Es kann sich daraus zunächst eine Anfallsserie und dann ein Status epilepticus entwickeln. Betroffene, die dazu neigen, sollten eine Notfallmedikation parat haben, die auch ein Laie einsetzen kann. Die Medikamente aus der Reihe der Benzodiazepine werden je nach Substanz entweder in die Nase, in den Mund oder rektal verabreicht, oder in den Muskel injiziert. Welche Form geeignet ist und wie sie im Bedarfsfall angewendet wird, sollten Betroffene mit ihren behandelnden Ärzten besprechen.

Erste Hilfe beim epileptischen Anfall:

Oft ist für Außenstehende zunächst nicht sicher, ob es sich um einen epileptischen Anfall oder um eine ganz andere Störung handelt – etwa eine Herzrhythmusstörung oder Unterzucker bei Diabetes. Deshalb gilt:

  • In unklaren Fällen nach den allgemeinen Regeln der Ersten Hilfe vorgehen.
  • Im Zweifel oder bei einem erstmals auftretenden epileptischen Anfall sofort den Notarzt unter 112 verständigen!
  • Bei bekannter Epilepsie – wenn es sich mit Sicherheit um einen epileptischen Anfall handelt – am Beginn des Anfalls auf die Uhr sehen
  • Behutsam versuchen, den Patienten in eine stabile Seitenlage zu bringen, wenn er das Bewusstsein verloren hat oder ein tonisch-klonischer Grand-Mal-Anfall abläuft.
  • Gefährliche Gegenstände aus der Nähe entfernen, Kanten oder Treppen absichern.
  • Dauert der Anfall länger als 5 Minuten, den Notruf unter 112 wählen. Auch dann, wenn mehrere Anfälle hintereinander auftreten.
  • Ist eine Notfallmedikation vorhanden und sind die Anwendungsregeln bekannt, wird sie üblicherweise nach 3 - 5 Minuten gegeben. Betroffene sollten sich hier aber an die individuellen Abmachungen halten. Dauert der Anfall länger als 5 Minuten oder treten mehrere Anfälle hintereinander auf, gilt auch hier: den Notruf unter 112 verständigen.
  • Nach einem Anfall sollte man noch so lange beim Betroffenen bleiben, bis er ganz klar und orientiert ist, es sei denn, eine Versorgung durch den Rettungsdienst ist sichergestellt.

Welche therapeutische Konsequenz der Anfall hat, sollte der Betroffene zusammen mit seinem Hausarzt beziehungsweise dem behandelnden Neuropädiater/Neurologen besprechen.

Hinweis: Diese Informationen können keinen Erste-Hilfe-Kurs mit praktischen Übungen in Erster Hilfe und Wiederbelebungsmaßnahmen ersetzen.

Hintergrund: Ausführliche Informationen zur Therapie

Allgemeine Maßnahmen:

Betroffene sollten Schlafentzug vermeiden und bei alkoholischen Getränken zurückhaltend sein. Beide Maßnahmen senken die Wahrscheinlich für Anfälle.

In einer Badewanne baden oder schwimmen gehen sollten Betroffene nur, wenn jemand dabei ist, der auf sie achtgibt - um sich selbst nicht zu gefährden, wenn plötzlich ein Anfall auftritt. Wer unter der Therapie schon länger frei von epileptischen Anfällen ist, klärt am besten mit seinen behandelnden Ärzten, wie hoch das individuelle Risiko einzuschätzen ist.

Die Berufswahl sollte auf die Erkrankung abgestimmt sein. Menschen mit Epilepsie müssen unter Umständen ein Leben lang Medikamente einnehmen, auch wenn sie anfallsfrei sind. Zu bedenken ist hier vor allem das Thema „Fahrtauglichkeit“. Vor allem für Lkw-Führung und die Personenbeförderung müssen sehr bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

Medikamentöse Therapie:

Die Therapie mit anfallsblockierenden Medikamenten (Antikonvulsiva) ist das wichtigste Instrument in der Behandlung der Epilepsien. Sie benötigt viel Erfahrung und muss zur jeweiligen Epilepsie passen.

Es stehen zahlreiche Präparate zur Verfügung. Manche Medikamente haben nur eine Zulassung für bestimmte Epilepsieformen oder als Zusatztherapie. In besonderen Fällen kann sich der Arzt darüber hinwegsetzen und macht nach entsprechender Aufklärung einen „individuellen Heilversuch“.

Unkompliziert ist häufig die Therapie mit nur einem Medikament. Wurde es korrekt ausgewählt, gelingt eine Anfallskontrolle in vielen Fällen. Andernfalls sollten mindestens zwei verschiedene Medikamente zunächst einzeln versucht werden. Kombinationstherapien, also der Einsatz mehrerer Antikonvulsiva, führen nicht selten zu einer Zunahme von Nebenwirkungen.

Wichtige Nebenwirkungen sind zum Beispiel Gangunsicherheit, Schwindel, Doppelbilder. Es kann aber je nach Präparat auch zu psychischen Nebenwirkungen wie Aggression, Depression, oder zu Aufmerksamkeitsstörungen, Müdigkeit und Sprechstörungen kommen. Patienten lassen sich am besten von ihrem Arzt beraten, welche Nebenwirkungen im individuellen Fall vorkommen können.

Originalpräparate und Generika: Ein Teil der Medikamente befindet sich noch unter Patentschutz, andere sind schon so lange auf dem Markt, dass inzwischen auch generische Präparate (Generika) vorliegen, so dass sie preisgünstiger sind. Generika ähneln dem Originalprodukt. In der Konzentration im Blut können sie aber nach oben oder unten teils erheblich abweichen. Dies kann bei einem Präparatewechsel ausreichen, um Anfälle auszulösen. Arzt und Patient sollten darauf achten, dass bei der Verschreibung des Medikamentes – egal, ob Originalpräparate oder Generika – immer das gleiche Präparat verordnet wird, damit die Sicherheit des Patienten gewährleistet ist.

Regelmäßige Einnahme: Ein zentraler Punkt in der Epilepsietherapie mit Medikamenten ist die Compliance – das heißt, die Regelmäßigkeit und Konsequenz, mit der Betroffene Medikamente einnehmen. Werden Medikamente plötzlich abgesetzt, können schwere Anfälle auftreten, die den Betroffenen gefährden. Vor allem Patienten, die länger anfallsfrei sind, laufen womöglich Gefahr, die Tabletteneinnahme zu vergessen. Manche Menschen haben auch Angst, durch die Medikamente geschädigt zu werden. Eine ausführliche Beratung durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte kann hier Sicherheit geben. Sie können erläutern, warum die Medikamente notwendig sind, dass auch eine jahrelange Einnahme ratsam sein kann und von vielen Menschen so gehandhabt wird. Regelmäßige Kontrolltermine in der Praxis können sinnvoll sein.

Familienplanung: Ein Teil der Medikamente gegen Epilepsie verursacht eine sogenannte Enzyminduktion. Das bedeutet, die Leber baut zum Beispiel die Antibabypille schneller ab, wodurch sie an Wirksamkeit verlieren kann. Besteht ein Kinderwunsch, sollte die Schwangerschaft bei einer Epilepsie idealerweise im Vorfeld gut geplant werden – dann lassen sich zum Beispiel Medikamente entsprechend anpassen. Eine ausführliche ärztliche Beratung ist wichtig.

Höheres Lebensalter: Bei älteren Menschen reagiert das Gehirn oft empfindlicher auf Medikamente und ihr Körper scheidet diese auch langsamer wieder aus. Die Dosis muss dann eventuell nach unten angepasst werden. In der Regel steigert der Arzt die Medikamentendosis nur in langsamen kleinen Schritten und versucht, mit niedrigen Dosierungen auszukommen. Durch Nebenwirkungen könnte es sonst im höheren Lebensalter womöglich zu Stürzen mit negativen Folgen für den Betroffenen kommen.

Pharmakoresistenz: Bei einem Teil der Patienten wirken Medikamente nicht zufriedenstellend. Fachleute sprechen von Pharmakoresistenz. Sie besteht nach einer internationalen Übereinkunft, wenn zwei geeignete Medikamente einzelnen und/oder in Kombination ohne ausreichende Anfallskontrolle eingesetzt wurden. Die therapeutischen Möglichkeiten für diese Patienten hängen entscheidend von der Ursache ab. Bei einer herdförmigen Epilepsie sollte geprüft werden, ob ein epilepsiechirurgischer Eingriff möglich ist. Bei anderen Betroffenen kommt nach individueller Beratung mit dem Arzt vielleicht eine Keto-Diät in Betracht, bei einer weiteren Gruppe kann der Einsatz eines Stimulationsverfahrens sinnvoll sein.

Chirurgische Epilepsietherapie:

Ist eine Epilepsie mit Medikamenten schwer behandelbar, kommt für einen Teil der Betroffenen eine operative Behandlung infrage. Voraussetzung ist in der Regel, dass es eine Strukturveränderung im Gehirn gibt, die der Ursprung der Anfälle ist. Dann kann eine Operation sogar zur Heilung führen. Eine gute MRT-Darstellung des Gehirns ist für die Behandlungsplanung unerlässlich.

Bevor der Eingriff zustande kommt, ermitteln Spezialisten, wo genau der Ursprungsort der epileptischen Anfälle liegt und ob er entfernt werden kann, ohne dass der Patient zusätzliche neurologische Ausfälle bekommt. Eine Aufzeichnung von Anfällen unter Video-EEG-Bedingungen kann zeigen, ob es nur eine einzige, potenziell epileptisch aktive Region im Gehirn gibt. Mit dem Operateur (Neurochirurgen) wird nach abgeschlossener Diagnostik festgelegt, was operiert wird.

Seit wenigen Jahren wird eine neue Methode erprobt, die sich für kleine Epilepsieherde eignet: Ärzte führen während einer kernspintomografischen Untersuchung eine Lasersonde an die Stelle im Gehirn ein, die als krankhaft erkannt wurde und zerstören sie, quasi unter Sichtkontrolle. Die Patienten erholen sich in der Regel schneller von dem Eingriff. Das Verfahren ist aber kostenintensiv und wird in Deutschland zurzeit nur an wenigen Orten im Rahmen von Studien vorgenommen.

Auch Stimulationsverfahren können zu einer besseren Behandlungssituation der Epilepsie beitragen. Das bekannteste ist die sogenannte Vagus-Nerv-Stimulation. Hier wird eine Stimulationselektrode an den Nerven im Halsbereich angebracht. Über einen Stimulator - ähnlich einem Herzschrittmacher - werden kurze Reizfolgen abgegeben. Die Anfallsfreiheit wird mit diesem Verfahren nur selten erreicht. Das Behandlungsziel ist eine Besserung.

Ketogene Diät:

Bei Kindern mit Epilepsie kann in bestimmten Situationen eine Keto-Diät helfen. Dabei werden Kohlenhydrate in der Nahrung reduziert. Der Körper nutzt daraufhin verstärkt Fett und Eiweiß zur Energiegewinnung. Diese gezielte Änderung des Stoffwechsels führt zu einer sogenannten Ketose im Blut. Ketonkörper werden über den Urin ausgeschieden und sind darin nachweisbar. Dies dient auch der Überwachung der Therapie. Die Ketonkörper sind wahrscheinlich die entscheidenden Moleküle, die bestimmte Epilepsieformen vor allem im Kindesalter erfolgreich therapieren können. Der genaue Wirkmechanismus ist nicht bekannt. Die Form der Ernährungstherapie sollte aber keinesfalls in Eigenregie erfolgen, sondern unbedingt mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten abgesprochen werden.

Bei Erwachsenen ist das Verfahren wissenschaftlich nicht eindeutig abgesichert. Versagt jede medikamentöse Therapie und kommt ein operativer Eingriff nicht infrage, ist ein Therapieversuch mit der Keto-Diät zu erwägen. Er sollte aber ebenfalls mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten geplant werden.

Epilepsie: Therapieende

Es gibt Epilepsieformen des Kindes- und Schulalters, die erfahrungsgemäß mit der Pubertät enden. Dann können die Medikamente – in Rücksprache mit den behandelnden Ärzten – üblicherweise abgesetzt werden.

Bei allen anderen Epilepsieformen kann die Medikamententherapie nur nach einer gewissen Zeit der Anfallsfreiheit beendet werden, sofern die Ursache nicht mehr vorhanden ist – zum Beispiel nach einem erfolgreichen epilepsiechirurgischen Eingriff. Dazu muss die Ursache aber auch bekannt sein. Grundsätzlich gilt, dass Medikamente nicht abgesetzt werden sollten, wenn die Ursache der Epilepsie nicht beseitigt ist.

Vor einem Absetzversuch sollten Betroffene unbedingt mit ihren behandelnden Ärztinnen oder Ärzten ausführlich über das Vorgehen und die möglichen Konsequenzen sprechen. Normalerweise wird die Therapie langsam „ausgeschlichen“, also die Dosis allmählich reduziert. Die Entscheidung sollte gut abgewogen sein. Denn nach dem Absetzen ist der Betroffene gefährdet, weil er danach zunächst ungeschützt ist. Erst nach einer gewissen Zeit kann man davon ausgehen, dass keine Anfälle mehr folgen. Auch mögliche Konsequenzen, etwa für die Fahrtauglichkeit, müssen im Vorfeld besprochen werden.

Im Erwachsenenalter ist das geeignete Ende einer medikamentösen Therapie schwer zu bestimmen. Es existiert keine Studie mit einer wissenschaftlichen Sicherheit, die eine Empfehlung für den günstigsten Zeitpunkt des Absetzens der Medikation gibt.

Beratender Experte

Beratender Experte: Prof. Dr. med. Christian E. Elger (FRCP)

Beratender Experte: Prof. Dr. med. Christian E. Elger (FRCP)

Prof. Dr. med. Christian E. Elger (FRCP) Facharzt für Neurologie, ist seit 2018 ärztlicher Leiter und geschäftsführender Gesellschafter der Beta Neurologie – Kompetenzzentrum für Epilepsie, Beta Klinik in Bonn. Zuvor war er Professor für Epileptologie und Direktor der Universitätsklinik für Epileptologie an der Universität in Bonn. Seit 2006 ist er wissenschaftlicher Geschäftsführer der Life & Brain GmbH im Universitätsklinikum Bonn. Er erhielt unter anderem 2005 den internationalen Zülch-Preis für Hirnforschung (Max-Planck-Gesellschaft, Gertrud-Reemtsma-Stiftung) und wurde 2010 mit dem Hans-Berger-Preis der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung für Verdienste auf dem Gebiet der Epileptologie ausgezeichnet.

Quellen

Elger C. E., Berkenfeld R. et al., S1-Leitlinie Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter, 2017, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hrsg. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: https://dgn.org/leitlinien/030-041-erster-epileptischer-anfall-und-epilepsien-im-erwachsenenalter-2017/ (abgerufen am 09/2021)

Rosenow F., Weber J. et al., Status epilepticus im Erwachsenenalter, S2k-Leitlinie, 2020, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: https://dgn.org/leitlinien/030-079-status-epilepticus-im-erwachsenenalter-2020/ (abgerufen am 09/2021)

Wichtiger Hinweis:

Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann eine ärztliche Beratung nicht ersetzen. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir keine individuellen Fragen beantworten.