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Millionen Menschen kennen sie als erfolgreiche Fernsehköchin – als Politikerin machte sich Sarah Wiener, 61, im EU-Parlament für weniger Pestizide auf dem Acker stark. Jetzt tritt die Abgeordnete der Grünen nicht mehr zur Wahl an, doch für gutes Essen engagiert sie sich weiter. Im Interview spricht Sarah Wiener über ihre Erfahrungen in der Politik, das Lebensmittelangebot in Supermärkten und die Bedeutung der Ernährung für ein gesundes Leben.

Frau Wiener, zur anstehenden Europawahl treten Sie nicht mehr an. Es sei Zeit für einen Neuanfang, so die Begründung. Verraten Sie uns Ihre Pläne?

Sarah Wiener: So einen wirklichen Neuanfang gibt es ja in meinem Alter nicht. Ich freue mich, dass ich wieder mehr für meine Stiftung arbeiten kann. Und ich möchte mal wieder einen ganzen Tag mit den Händen im Teig in der Küche stehen – kneten, ausrollen, füllen. Herrlich! Außerdem möchte ich schwarze Nüsse einlegen, die schmecken so toll. Am meisten freue ich mich darauf, Zeit mit meiner vierjährigen Enkelin zu verbringen und mit ihr irgendwann auf Bäume zu klettern.

In Ihrem Leben dreht sich vieles um gutes Essen.

Wiener: Essen ist etwas, das uns mit dem Universum verbindet. Schmecken, anfassen, riechen, fühlen – mit allen Sinnen genießen, dem Körper und der Seele etwas Gutes tun. Mich macht das glücklich. Wenn ich für Freunde und Familie koche, schwingt da Liebe mit, der Wunsch, Zeit miteinander zu verbringen und sich nahe zu sein.

Am härtesten gearbeitet habe ich als Abgeordnete im EU-Parlament

Sie haben gekellnert, später eine Kampfsportausbildung absolviert und einen Catering-Service gegründet, als Fernsehköchin Karriere gemacht. Zuletzt saßen Sie im EU-Parlament. Wie haben diese Neuanfänge Sie geprägt?

Wiener: Am meisten gezittert habe ich vor meiner ersten Selbstständigkeit, ich musste damals einen hohen Kredit aufnehmen. Am härtesten gearbeitet habe ich als Abgeordnete im EU-Parlament. Nun fängt wieder etwas Neues an, und ich freue mich darauf, neue Erfahrungen zu sammeln und zu lernen.

Wie blicken Sie auf Ihre Zeit im EU-Parlament zurück?

Wiener: Die Welt der Politik in Brüssel war mir am Anfang fremd. Ich bin keine Intellektuelle, sondern Praktikerin. Von heute auf morgen zehn Stunden am Tag zu sitzen, zuzuhören, Gesetzestexte zu verstehen, zu verbessern, zu verteidigen und am Ende des Tages zehn neue Themen auf dem Tisch zu haben: Das war am Anfang anstrengend.

Auch der Umgang innerhalb des Parlaments, die politische Kultur und Sprache einiger Abgeordneter sind verbesserungswürdig. Es gibt aktuell starke populistische Strömungen von rechten und rechtsradikalen Parteien, die an Kompromissen nicht interessiert sind. Das Gute ist: Wir können Einfluss nehmen durch unsere Entscheidungen bei der anstehenden Wahl.

Der Umgang innerhalb des Parlaments, die politische Kultur und Sprache einiger Abgeordneter sind verbesserungswürdig

Die Unfähigkeit, Kompromisse einzugehen, wurde beim Pestizidreduktionsgesetz deutlich, das Sie mit verhandelt hatten. Kürzlich wurde es im EU-Parlament ohne Aussicht auf weitere Verhandlungen komplett gekippt.

Wiener: Das war schlimm. Wir hatten im Umweltausschuss einen guten Kompromiss ausgehandelt und den Entwurf mit einer Mehrheit aus Grünen, Linken, Sozialdemokraten und Liberalen bis ins Plenum gebracht. Rechte, rechtsradikale und rechtsnationale Parteien haben für die Endabstimmung Hunderte von Änderungsanträgen auf den Tisch gelegt und das Gesetz regelrecht massakriert – ohne jegliche Bereitschaft zu Kompromissen. Das war für mich eine ernüchternde Erfahrung.

Der Bauernverband hierzulande begrüßte den Verhandlungsstopp. Der Präsident Joachim Rukwied warnte gar vor einem Totalausfall der Ernten, sollte der Einsatz von Pestiziden verboten werden.

Wiener: Zunächst einmal: Es ging nie um ein Totalverbot von Pestiziden, sondern um eine machbare, schrittweise Reduktion. Es gibt seit Langem Konzepte, wie das ohne große Ernteeinbußen möglich wäre und die Landwirte ihr Einkommen sogar steigern könnten. Wir müssen den Pestizideinsatz senken, unserer Gesundheit zuliebe, um die Böden gesund zu halten, unser Wasser zu schützen und das Artensterben zu stoppen.

Gerade für Bauern ist grüne Landwirtschaftspolitik ein rotes Tuch. Warum können Sie die nicht überzeugen?

Wiener: Ich glaube nicht, dass es „die“ Landwirtschaft gibt. Es gibt viele verschiedene Betriebe und unterschiedlichste wirtschaftliche Interessen. Gerade die Bauernverbände, die sagen, sie stünden auf der Seite der Bauern, vertreten doch in Wirklichkeit eher die Interessen der Agrarindustrie als die der kleinen und mittleren Betriebe, die ja oft seit Langem ums Überleben kämpfen.

Sarah Wiener Stiftung

Kinder sollten lernen, zu kochen und zu genießen: das ist das Ziel der Sarah Wiener Stiftung, die unter anderem Kochkurse anbietet und auf Spenden angewiesen ist. Mehr Informationen: sw-stiftung.de

Das klingt nicht gerade optimistisch.

Wiener: Ich bin Optimistin. Wenn ich auf Veranstaltungen direkt mit Bäuerinnen und Bauern spreche, merke ich, die meisten sehen sich als Bewahrer und Schützer des Bodens. Die Positionen gehen oft gar nicht so weit auseinander, als dass es nicht möglich wäre, gute Kompromisse auszuhandeln.

Für Ihre Sendungen haben Sie in französischen, italienischen, britischen Küchen gekocht. Wo hat es am besten geschmeckt?

Wiener: Es gab überall wunderbare Gerichte. Aber am meisten hat mich die unglaublich reiche chinesische Küche beeindruckt. Manchmal war es einfach nur ein Stück roher Fisch oder ein Pilz, der so wunderbar geschmeckt hat, dass ich schon glücklich war.

Auch in Deutschland hat sich die Esskultur positiv entwickelt.

Wiener: Wie kommen Sie darauf?

Fleischlos essen wird beliebter, sogar Discounter verkaufen Bio-Lebensmittel. Auch regionale Produkte liegen im Trend.

Wiener: Vielleicht haben viele Menschen den Wunsch, besser zu essen. Aber die Rahmenbedingungen stimmen nicht wirklich. Im Supermarkt können wir aus Abertausenden Lebensmitteln auswählen, die alle von einem der fünf großen Lebensmittelkonzerne produziert werden. Oft handelt es sich um hochverarbeitete Lebensmittel, von denen man inzwischen weiß, dass sie unser inneres Ökosystem, das Mikrobiom im Darm, schädigen.

Na ja, es gibt in jedem Supermarkt eine riesige Obst- und Gemüseabteilung.

Wiener: Und oft schmeckt das nicht wirklich gut. Diese Kugelwasser-Treibhaustomaten, die sie über Wochen im Kühlschrank liegen lassen können und die dann höchstens noch als bunte Verzierung auf dem Käsebrot taugen: Das hat doch mit sonnengereiften Freilandtomaten nichts zu tun. Wussten Sie, dass es etwa 20.000 essbare Tomatensorten gibt?

Nein.

Gut zu essen ist auch eine soziale Frage. Für mich ist Ernährung die Säule unserer Gesundheit

Wiener: Violette, gesprenkelte, welche, die Warzen ausbilden, andere, die nach Rosen duften oder nach Pilzen schmecken. Das ist unglaublich. Wenn Tomaten im Garten richtig viel Sonne getankt haben, könnte man die kiloweise essen.

Ihre Stiftung hat das Ziel, Kindern das Kochen beizubringen und Verständnis für regionale Lebensmittel zu schaffen. Warum ist das so wichtig?

Wiener: Gut zu essen ist auch eine soziale Frage. Für mich ist Ernährung die Säule unserer Gesundheit. Wer nicht weiß, mit welch einfachen Techniken er ein köstliches Essen zaubern kann, muss sich ein Leben lang fremdfüttern lassen. Wer nicht weiß, wie man gesund essen kann, hat ein erhöhtes Risiko, krank zu werden. Da ist noch viel zu tun.